Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
ungewöhnlich, er fiel auf. Wir waren praktisch die einzige Familie in Kenia, die diesen Namen trug.
Ruth fand meinen Vater. Sie reiste bis nach Kisumu, einer Stadt am Viktoriasee, und von dort aus wurde ein Bote nach Alego geschickt, um Barack zu holen, der gerade seine Familie besuchte. So jedenfalls schilderte man mir später Ruths erneutes Auftauchen.
Was ich jedoch nie erfahren habe, ist, ob sie damals wusste, dass mein Vater in Kenia bereits eine Frau und zwei Kinder hatte. All meine Versuche, mit ihr darüber zu reden, sind bislang gescheitert. Nach der schmerzhaften Scheidung von meinem Vater und dem mühsamen Aufbau eines neuen Lebens für sich und ihre Söhne, hatte sie wohl unter die Zeit mit meinem Vater einen Schlussstrich gezogen – ganz im Gegensatz zu Kezia und Ann.
Ruths damaliges Erscheinen in unserem Leben stellte meinen Vater vor die Wahl, entweder bei meiner Mutter zu bleiben oder mit Ruth wegzugehen. Diese schwere Entscheidung traf er nicht allein. Während meine Mutter dabei offenbar wieder keine Stimme hatte, bat er ein weiteres Mal seinen Vater um Rat. Der erinnerte ihn daran, wie er seinerzeit um die Hand seiner ersten Frau Kezia hatte kämpfen müssen. Erschwerend war hinzugekommen, dass sowohl mein Großvater als auch Kezias Vater Luo-Älteste waren, sich also kannten und respektierten.
Barack, mein Vater, musste sich folglich gut überlegen, was er jetzt tat. Er wusste: Ruth hatte den weiten Weg von Amerika bis nach Kenia auf sich genommen und würde ihre Liebe sicher nicht so leicht aufgeben. Mein Großvater schlug schließlich seinem Sohn vor, Ruth zu heiraten und mit ihr in Nairobi zu leben, etwa sechshundert Kilometer von Alego entfernt. Dort hatte er bereits wegen seiner Ausbildung eine gute Stellung bekommen. Auf dem Hof würde dann seine erste Frau, also meine Mutter, mit den beiden Kindern leben. Dieser Vorschlag entsprach absolut unserer Tradition. Ruth würde die Zweitfrau werden, und alle könnten mit dieser Lösung »glücklich« weiterleben. So hatte es sich mein Großvater gedacht. Meiner Mutter war das recht, sie hatte seinerseits bereits Ann als zweite Frau ihres Mannes akzeptiert. Unter allen Umständen wollte sie vermeiden, dass ihre kleine Familie zerbrach. Doch im Gegensatz zu ihr war Ruth keineswegs bereit, ihren Mann mit einer anderen Frau zu teilen.
Nach tagelangen Diskussionen fiel die Entscheidung. Mein Vater beschloss, mit Ruth nach Nairobi zu gehen. Damit bevorzugte er eine westliche Ehe, die es ihm nicht ermöglichte, mehr als eine Frau zu haben. Die darauf folgende Trennung von seiner ersten Frau, meiner Mutter, entsprach gewissermaßen einer Scheidung. Und das wiederum bedeutete, dass sie unseren Hof verlassen und zu ihrer Familie nach Gendia, in Kendu Bay, zurückkehren musste.
Mit dem Abschied von der traditionellen Ehe begann für meinen Vater auf persönlicher Ebene das Tauziehen zwischen zwei Kulturen, das ihn sein Leben lang begleiten sollte.
Für meine Mutter war dieser Entschluss niederschmetternd. Sie hatte angenommen, als erste Frau auf jeden Fall bevorzugt zu werden. In ihren Augen hätte mein Vater die Tradition respektieren und ihr erlauben müssen, bei seinen Eltern auf dem Land zu bleiben. Doch nicht einmal diese Option blieb ihr.
Nicht auszuschließen ist, dass damals, nach seiner jahrelangen Abwesenheit und aufgrund seiner Beziehung zu Ann, bereits ein tiefer Riss zwischen meinem Vater und meiner Mutter klaffte. Vielleicht glaubte er, mit Ruth glücklicher zu werden.
So kam es, dass mein Vater uns ein zweites Mal verließ. Ruth und er machten sich auf, um in der kenianischen Hauptstadt ein neues Leben zu beginnen, während wir Kinder mit unserer Mutter zu ihrer Familie nach Gendia zogen. Sie war damals zweiundzwanzig Jahre alt, mein Bruder Abongo sechs und ich vier.
Meine Mutter machte, nachdem sie Alego verlassen musste, eine unglaublich schwere Zeit durch. Als junges Mädchen war ihr Märchenprinz aufgetaucht und hatte sie aus einem langweiligen Leben fortgezaubert. Jetzt, nur wenige Jahre später, kehrte sie in ihre eigene Familie zurück, verstoßen und ohne Zukunftsaussichten, auf ihre Verwandten und deren Unterstützung angewiesen.
Jahre später erzählte mir meine Mutter, wie untröstlich sie nach der Trennung war.
»Ich bin fast verrückt geworden«, schilderte sie mir ihre einstigeVerfassung. »Ich war am Boden zerstört und lief nackt durchs Haus, kopflos und verwirrt.«
Die Frau, die sich nicht nur zum Tanzen,
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