Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
muslimischen Geistlichen durchgeführt.
Es war übrigens nicht das letzte Mal, dass wir uns in dieser familiären Konstellation trafen. Abgesehen von meiner Mutter, Sheree, Hanifa und Karl sahen wir uns einige Jahre später in Chicago wieder, bei Baracks und Michelles Hochzeit. Toot, Baracks Großmutter mütterlicherseits, war damals auch dabei, während sie bei Abongos Heirat gefehlt hatte.
Da dieser Anlass fast ausschließlich Familienmitglieder vereinte, fiel es uns leicht, offen miteinander zu reden. Es wurde viel von früher erzählt, und jeder holte Erinnerungen an meinen Vater hervor, der uns alle verband.
Außer Abongo und mir hatten die anderen Geschwister den größten Teil ihres Lebens getrennt voneinander verbracht. Und doch fühlten wir uns alle sehr nah. Dass wir verschiedene Mütter beziehungsweise Väter hatten, spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Maya war für mich die kleine Schwester, die ich nie gehabt hatte, und Ann die »kleine Mutter« (so nennt man bei den Luo die zweite Ehefrau des Vaters), die wir schon seit Jahren hatten kennenlernen wollen.
Unsere Mütter hatten zu meiner Verwunderung sofort eine ähnlich vertraute Verbindung. Obwohl sie sich vor Abongos Eheschließung noch nie gesehen oder gesprochen hatten, wirkten sie auf mich nicht, als sei dies ihre erste Begegnung. Noch bevor der Tag zu Ende ging, saßen sie eng beieinander, hielten sich an den Händen, ließen die schönen Zeiten aufleben, die sie mit unserem Vater verbracht hatten, und versicherten einander, was für ein toller Mensch er gewesen sei.
Fasziniert beobachteten wir Kinder unsere Mütter – die eine aus Afrika, die andere aus Amerika, die eine schwarz, die andere weiß – und lauschten ihrer Unterhaltung. Bald trugen wir mit eigenen Erlebnissen, die wir mit unserem Vater gehabt hatten, zu ihrem Austausch bei. Unseren Vater nannten wir liebevoll » the old man «, den alten Herrn. Allerdings gingen wir härter mit ihm ins Gericht als unsere Mütter. Mit den Anekdoten, die wir zum Besten gaben, stiegen auch alte Gefühle von Verlust, Enttäuschung, Wut und Schmerz auf. Es flossen viele Tränen, Tränen um versäumte Gelegenheiten und um die zerbrochenen Familien, für die wir Kinder sinnbildlich standen.
Für alle Zeiten wird mir von jenem Abend ein Bild bleiben: Ich sehe meine Mutter und Ann vor mir, beide fast gleich alt, und wie sie sich plötzlich in den Armen liegen und weinen. Und seit jenem Tag frage ich mich oft, was für ein außergewöhnlicher Mann mein Vater gewesen sein muss, dass zwei aus völlig verschiedenen Welten stammende Frauen ihn offenbar selbst nach so vielen Jahren immer noch liebten, obwohl in ihren jeweiligen Beziehungen manches anders verlaufen war, als sie es sich gewünscht hatten. Ich muss bei diesen Erinnerungen daran denken, wie groß die Herzen dieser beiden Frauen waren, dass sie nach alldem Geschehenen einander ohne Abneigung begegneten.
Der kleine Barack war zwei, als Barack senior Hawaii verließ. Er sollte seinen Vater erst mit zehn Jahren wiedersehen, in einer Zeit, da dieser bereits wieder in Kenia lebte und mit seiner dritten Frau Ruth verheiratet war.
Ruth war die Tochter einer alteingesessenen Bostoner Familie. Mein Vater lernte sie während seiner Harvard-Zeit kennen. Im Gegensatz zu Ann war Ruth bereit, alles hinter sich zu lassen, um ihm in die Fremde zu folgen. Ob mein Vater damals vorhatte, mit ihr nach Kenia zu gehen, vermag ich nicht zu sagen. Man erzählte mir, er sei eigentlich alleine aus den USA zurückgekehrt, in der Absicht, erneut mit seiner Frau Kezia und den beiden gemeinsamen Kindern zusammenzuleben. Dann aber sei Ruth unverhofft wieder in sein Leben getreten.
Was sie bewog, meinem Vater nachzureisen, war außer ihrer Liebe möglicherweise auch das Gefühl, ihr Schicksal läge nun an seiner Seite. Es waren die frühen sechziger Jahre. Als junge weiße Amerikanerin, die aus einer Familie der gehobenen Mittelschicht stammte, hatte sie sich von ihr entfernt, indem sie die »Farbgrenze« überschritten und eine Beziehung zu einem schwarzen Mann begonnen hatte. Blieb ihr da noch etwas anderes übrig, als diesen Schritt zu tun und nach Afrika zu kommen?
In Nairobi eingetroffen, machte sie sich angeblich auf die Suche nach meinem Vater, von dem sie lediglich den Namen kannte. Zu Hilfe kam ihr dabei die Tatsache, dass die Gruppe der aus den USA heimgekehrten Studenten recht überschaubar war. Man kannte einander. Noch dazu war der Name »Obama«
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