Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Funken auf. Sie hatten Befehl, den jungen König zu suchen, der sich wie so oft in einer seiner vielen phantastisch ausgeschmückten, durchaus nicht für diesen Zweck bestimmten Jagdhütten im Gebirge aufhalten mußte. Unverrichteter Dinge kehrten sie ins Berger Schloß zurück. Dort waren während des Tages die Minister, die hohen Militärs und auch Bismarcks preußischer Gesandter eingetroffen. Ihre eleganten, geschlossenen Kutschen, die – von Starnberg herkommend – fast stündlich in den Schloßhof rollten, sausten an den staunenden Bergern vorüber und hinterließen dichtwirbelnde Staubwolken. Die vornehmen, ordengeschmückten Herren blieben im Schloß und warteten mit banger Ungeduld. Einigen von ihnen konnte man es vom Gesicht ablesen, daß sie nicht wenig aufgebracht waren über den erstaunlich sorglosen Monarchen, der in dieser kritischen Zeit nicht im geringsten an seine Pflichten dachte und in der Gebirgseinsamkeit seinen sattsam bekannten verstiegenen Träumen nachhing. Bei den Landleuten, denen ihre jeweiligen Herrscher bis jetzt fremd und gleichgültig geblieben waren, erfreute sich der kaum fünfundzwanzigjährige König einer ungemeinen Beliebtheit. Er war der erste Wittelsbacher, der sein Leben fast ausschließlich in ihren Gauen verbrachte und den Bauern viel von seiner Pracht und Größe sinnfällig zeigte. Sie hörten wohl hin und wieder allerhand dunkle Geschichten über ihn und redeten auch darüber, aber sie glaubten doch an nichts Abträgliches. Sie zweifelten schon deshalb daran, weil der sonst so leutscheue König sich offenbar zu ihnen hingezogen fühlte und oft wider alles Erwarten in einer jähen Anwandlung von spielerischer Volkstümlichkeit einen Bauern besuchte oder mit Holzknechten im Gebirge beisammen saß, sich freundlich mit ihnen unterhielt und dem einen oder anderen irgendein Geschenk machte.
Ganz anders dachte über den König seine nächste Umgebung, denn was hatte dieser schwer lenkbare Herrscher im Lauf seiner kurzen Regierungszeit all den würdigen Männern nicht schon für schwierige Rätsel aufgegeben.
Er war ein maßloser Phantast und ein störrisches Kind zugleich. Das meiste, was seine Vorfahren ausgezeichnet hatte, verabscheute er. Er mochte militärisches Gepränge und Uniformen nicht, trug fast immer Zivilkleider und liebte dennoch zuweilen pompöse, von Gold, Silber und Hermelin strotzende Krongewänder und Mäntel, ja, er legte nicht selten eigens angefertigte, prunkende Ritterrüstungen an, wenn er einsam träumte. Dabei haßte er alles Blutvergießen und Kriegerische. Nirgends in seinen Gemächern oder Jagdhütten fand sich eine moderne Schießwaffe, dagegen blinkende Brustwehren, Helme und altertümliche Schwerter. Jagd, Manöver, Kanonendonner und Krieg waren ihm ein Greuel. Wiewohl er über Riesenkräfte verfügte, hielten ihn viele für feig. Im Krieg von 1866 war er nie an der Front gewesen und hatte auch niemals ein Verwundeten-Lazarett besucht. Er litt nicht etwa am krassen Elend des Krieges, er schob alle diese Dinge nur weit weg. Er wollte nichts von ihnen hören und sehen. Er war weibisch und eitel wie keiner seines tausendjährigen Geschlechtes. Jeden Tag machte er stundenlang Toilette, ließ sich seine fast bläulich schimmernden, dichten schwarzen Haare täglich sorgfältig brennen und locken, benützte Salben und Pasten und die teuersten Parfüms.
Als er nach einer strengen, engen und einsichtslosen Erziehung vor knapp sechs Jahren seinem jäh verstorbenen Vater auf den Thron gefolgt war, berückte er alle durch seine wahrhaft strahlende Jünglingsschönheit. Gebieterisch groß und gertenschlank, um die hohe Stirn das Lockenhaar, mit von dichten Brauen beschatteten tiefblauen Augen, ein gleichsam gemeißeltes, bartloses, bleiches, frauenhaftes Gesicht voll starker Anmaßung und doch wieder irgendwie entwaffnend – so sah ihn das jubelnde Volk der Hauptstadt in hingerissener Erstaunung und huldigte ihm wie noch keinem Wittelsbacher, obgleich er es tief mißachtete und jede billige Leutseligkeit haßte. Sehr bald mußten alle, die mit ihm zu tun hatten, erkennen, wie schwierig der Umgang war, wie unberechenbar die Launen des höchsten Herrn waren. Der unvorbereitete, neunzehnjährige König schien sich für alle erlittene Unbill seiner Jugendzeit an den Menschen rächen zu wollen. Er herrschte, und alle hatten widerspruchslos zu folgen. Er ließ nichts gelten als seine eigene Meinung und verbat sich jeden wohlmeinenden Rat. Zudem verfuhr er
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