Das Leben meiner Mutter (German Edition)
drohte mit Abdankung, wenn sein Wille nicht geschehe. Jedem mißtraute er und wurde noch weit anmaßender, noch viel menschenscheuer. Er vergaß überhaupt jede Repräsentationspflicht und verstimmte allerorts. Bei erzwungenen Banketten verbarg er sein düsteres Gesicht hinter einem mächtigen Blumenstrauß, der auftragsgemäß vor ihm auf den Tisch gestellt worden war. Oft stand er mitten in einer solchen Tafelei auf, ging schweigend davon und hinterließ eine ratlose, verlegene Gesellschaft. Er vertrug immer weniger Menschen um sich. Er war nur noch glücklich bei Wagnerscher Musik, sie berauschte und bezauberte ihn jedesmal von neuem. Und er war wahrhaft krank verliebt in seinen Meister, so selbstvergessen diesem seinem Menschenidol hingegeben, daß ihm nur dessen Wort und Ratschläge etwas galten. Diese hochgestimmte, kaum mehr faßbare Freundschaft aber fing an, in eine maßlose Eifersucht umzuschlagen, als er merkte, daß der Komponist, der zum Ärger seiner Widersacher nach und nach alle seine Verehrer, Mitarbeiter und Freunde nach München gezogen hatte, im Begriff stand, die Frau des weitbekannten Dirigenten und Kapellmeisters Hans von Bülow zu heiraten. Das blieb den vereinigten Prinzen, Ministern und Klerikern nicht verborgen, und sie benutzten diesen günstigen Zeitpunkt. Es gelang ihnen endlich, den eigensinnigen, gekränkten König dazu zu bewegen, Wagner nahezulegen, er möge Bayern wenigstens für einige Jahre verlassen. Der enttäuschte Meister zog mit seiner Frau Cosima in die nahe Schweiz. Der tief verwundete König flüchtete in die geliebten Berge und schrieb seinem Freund beschwörende Briefe, wieder nach München zurückzukehren. Wagner indes hielt es für ratsam, in seiner abgeschiedenen Ruhe zu arbeiten und sagte behutsam ab.
Von da ab zeigte der König fast gar kein Interesse mehr für sein Amt. Seine Menschenscheu schien zum finsteren Menschenhaß gereift zu sein. Die Minister hatten anfangs nichts dagegen, daß er der Hauptstadt fern blieb, doch Ludwig kam oft unverhofft und machte, wie es seiner abrupten Art entsprach, ihre mühsam erdachten Beschlüsse und Maßnahmen durch einen Federstrich zunichte. Er lebte abwechselnd in Berg oder Hohenschwangau und ließ überall jene sonderbaren Jagdhütten aufstellen, in welchen er sich vor der lauten Welt verbarg. Nach einiger Zeit ging er dazu über, prunkvolle, überladene Burgen und Schlösser, halb in altdeutschem, halb in französisch-bourbonischem Stil zu bauen, und nahm dabei weder Rücksicht auf seine geschrumpfte Zivilliste noch auf die Staatskasse.
Einmal noch, etliche Jahre später, setzte er seine Umgebung und das ganze Volk in freudiges Erstaunen. Gegenüber dem Berger Schloß, am anderen Seeufer, schimmerte der idyllische Herrensitz des Herzogs Max von Bayern aus dem dichten Grün uralter Eichen. Eine Tochter des Herzogs war Kaiserin Elisabeth von Österreich geworden, eine ebenso schöne wie zartbesaitete Wittelsbacherin, die als einzige Frau Ludwigs ganzes Vertrauen genoß. Es war die Freundschaft zweier Seelen, die sich in manchem glichen, vor allem in ihrer schwärmerischen Veranlagung, ihrem Menschenüberdruß und in ihrem Hang zur Einsamkeit. Die ältere Elisabeth war freilich weit gesünder als Ludwig, hatte mehr Beherrschung und übte einen wohltuenden Einfluß auf ihn aus. Sie lebte auch vernünftiger als ihr Vetter, der die Bewegung nicht liebte und meistens die Nacht zum Tage machte. Sie schwamm viel im See, trieb ausgiebigen Rudersport und war eine wilde, elegante, extravagante Reiterin. Auch ihr geistiger Horizont war weiter als der Ludwigs. Sie hatte viel umfassendere Interessen und ein feines, künstlerisches Empfinden. Sie liebte ganz besonders den vielgelästerten Heinrich Heine, dem sie sogar auf Korfu ein Denkmal hatte setzen lassen, und sie las manchen modernen Erzähler. Oft gab sich der König mit ihr ein Stelldichein auf der einzigen Insel des Sees, auf welcher er einen Pavillon und eine prachtvolle Rosenzucht hatte anlegen lassen. Die Insel wurde deswegen die »Roseninsel« genannt und behielt ihren Namen. So nahe waren die beiden Verwandten einander in diesen träumerischen Stunden, wenn sie durch den berückend duftenden, weltverlorenen Garten schritten, daß sie sich »Taube« und »Adler« nannten.
Elisabeth hatte eine um zehn Jahre jüngere, liebreizende, leicht entflammbare Schwester namens Sofie, die ihr sehr ähnlich sah. Freilich war sie weder so gescheit noch so gefühlstief wie sie. Sie gefiel
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