Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
Vom Netzwerk:
verliefen sich.
    Dann benötigte sie all ihre Energie, um nicht an ihre zum Skelett abgemagerte Mutter im Pflegeheim zu denken, an diese trüben, verwirrten Augen, ohne Begreifen, wie Pam dachte, Mom, ach, Mom. Oder – sie drehte sich um, zog die Decke mit sich – an diese beiden (jungen) Mütter, die nie nett zu ihr waren, wenn sie auf dem Gehsteig vor der Schule Konversation mit ihnen machte, während sie alle auf den Gong warteten. Woran lag das? Was hatten sie gegen sie?
    Und so weiter.
    Lesen war das beste Mittel, wenn sie an diesen Punkt kam, und so knipste sie ihre winzige Leselampe an und begann das Buch über Somalia, von dem bei dieser feudalen Dinnerparty die Rede gewesen war, bevor die Südstaatenlady ihren Ausraster hatte. Anfangs langweilte die Geschichte sie, aber dann nahm sie Fahrt auf, und Pam bekam es mit der Angst. Unglaublich, was sie alles nicht wusste – unglaublich, dass es solche Leben überhaupt gab. Gleich am Morgen wollte sie Bob deswegen anrufen, aber das war der Morgen, an dem sie erfuhr, dass ihre Stelle im Krankenhaus abgebaut werden sollte, und daraufhin bekam Pam es richtig mit der Angst.
    Irgendwie – wahrscheinlich waren alte Jugendphantasien daran schuld – setzte sich in ihr die Idee fest, dass sie ja Krankenschwester werden könnte. Und so erwog Pam ein paar Wochen lang ernsthaft eine Schwesternausbildung, sah sich Spritzen aufziehen und Blut abnehmen, sah sich, gestreift von den respektvollen Blicken der Ärzte, in der Notaufnahme den blauvioletten Arm einer alten Frau halten oder (vielleicht war Botox doch nicht so grundsätzlich abzulehnen) beruhigend auf verzweifelte junge Eltern einreden, so jung wie die beiden Mütter vor der Schule, die so unnett zu ihr waren. Sie sah sich durch die Schwingtür eines OP -Saals treten, jede ihrer Bewegungen kompetent und bestimmt. (Nur schade, dass es die weiße Schwesterntracht mit Häubchen nicht mehr gab; heutzutage liefen sie so unordentlich herum, alle möglichen albernen Turnschuhe waren erlaubt, und dazu diese Schlabberhosen.) Sie sah sich Bluttransfusionen verabreichen, sah sich mit Klemmbrett in der Hand, sah sich Fläschchen mit Medikamenten aufreihen.
    Ich kann mir nichts Grässlicheres vorstellen, sagte Janice. Krankenschwestern sind nur am Rennen, zwölf Stunden am Stück und mehr. Und was ist, wenn dir ein Fehler passiert?
    Wie hatte sie daran nicht denken können? Natürlich würde ihr ein Fehler passieren. Andererseits wurden Leute mit viel weniger Intelligenz als sie Krankenschwestern, sie sah sie doch ständig auf den Krankenhausgängen, kaugummikauende, schwerlidrige Geschöpfe – oh, aber gesegnet mit dem Selbstvertrauen der Jugend. Ein Königreich für das Selbstvertrauen der Jugend!
    Doch letztlich, das war das einzige Fazit nach Wochen sinnlosen Kopfzerbrechens, letztlich (selbst bei Teilzeit, es half nichts) würde sie ihre Jungs einfach zu sehr vermissen. Es vermissen, ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen (obwohl es sie immer zu Tode langweilte), es vermissen, bei ihnen daheimzubleiben, wenn sie krank waren oder schneefrei hatten, und während ihrer Schulferien würde sie lernen müssen. Außerdem besaß Pam, anders als ihre Exschwägerin Helen, kein Händchen für Hausangestellte, und ohne die brauchte sie über eine Schwesternausbildung gar nicht erst nachzudenken. Sie verschliss Babysitter und Haushälterinnen im Rekordtempo. Sie behandelte sie überfreundlich, nur um sich sofort von ihnen ausgenützt zu fühlen. Dann feuerte sie sie kurzentschlossen, drückte ihnen Geld in die Hand und schüttelte den Kopf, wenn sie sich über diese Überraschung empört zeigten. Nein, es konnte nicht funktionieren. Zum Trost gönnte sie sich einen neuen Haarschnitt und war dann unglücklich über den Winkel, in dem ihr das Haar in die Stirn fiel.
    Sie rief Bob im Büro an und setzte ihm ihr Problem auseinander. »Ich weiß auch nicht, Bob. Vielleicht will ich ja gar nicht wirklich Krankenschwester werden. Vielleicht interessiert mich einfach nur die Theorie. Anatomie. Wie damals im College.«
    Ein langes Schweigen, dann sagte er: »Pam, dazu fällt mir nicht sehr viel ein. Schreib dich für einen Anatomiekurs ein, wenn es das ist, was du möchtest.«
    »Warte mal, Bobby. Bist du sauer auf mich?« An diese Möglichkeit hatte Pam überhaupt noch nicht gedacht. Seit Jahren rief sie Bob an, wann immer ihr danach war; er wies sie nie ab und hörte geduldig zu; anders kannte sie es nicht. Sie sagte: »Du hast dich an

Weitere Kostenlose Bücher