Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Weihnachten nicht blicken lassen, was die Jungs schon ein bisschen verletzt hat, und ich hab dich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen. Und, ja, wenn ich jetzt darüber nachdenke – am Telefon warst du auch jedes Mal ziemlich kurz angebunden, um ehrlich zu sein. Bist du wieder mit Sarah zusammen? Ich weiß, dass sie etwas gegen mich hatte.«
»Nein, ich bin nicht wieder mit Sarah zusammen.«
»Was ist dann los? Was habe ich gemacht?«
»Es ist einfach viel los zurzeit, Pam. Jede Menge Zeug.«
»Sag mir wenigstens kurz, ob Zachary noch bei seinem Vater ist. Und was ist aus der Anklage geworden?«
»Die Bundesanwaltschaft hat sie fallenlassen.«
»Echt? Das heißt, er ist für nichts und wieder nichts getürmt?«
»Ich würde nicht sagen, dass mit seinem Vater zusammen zu sein nichts ist.«
»Stimmt auch wieder. Was macht Susan?«
»Susan ist Susan.«
»Bob, ich wollte dir von diesem Buch erzählen, das ich mir gekauft habe, von dieser Somali-Autorin. Inzwischen bin ich durch damit, oder jedenfalls fast, und es ist ziemlich verstörend.«
»Erzähl mir von dem Buch, Pam. Aber fass dich kurz, ich habe gleich eine Besprechung. Wir haben einen jungen Anwalt hier, der ein bisschen Anleitung braucht.«
»Ja, ja, ich muss auch zig Sachen erledigen. Aber diese Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund über den Irrwitz, den du als Frau in Somalia auszustehen hast. Du kriegst ein uneheliches Kind, und dein Leben ist vorbei. Buchstäblich. Du kannst auf der Straße verrecken, und es kümmert keine Sau. Und dann, das ist wirklich grauenhaft, sie nehmen diese fünfjährigen Mädchen, und sie beschneiden sie, sie verstümmeln sie untenrum richtig und nähen es dann zu. Die Mädchen können kaum noch pinkeln. Und stell dir vor, wenn ein Mädchen beim Pinkeln zu laut plätschert, dann dürfen alle anderen sie verspotten.«
»Pam, das ekelt mich an.«
»Mich auch! Ich meine, man möchte ihre Lebensweise ja gern respektieren, aber wie soll man so etwas respektieren? Die Mediziner sind natürlich auch im Zwiespalt, denn manche von diesen Frauen wollen wieder zugenäht werden, nachdem sie ein Kind bekommen haben, und darauf sind die westlichen Ärzte nicht gerade scharf. Verrückt, oder? Da fragst du dich doch. Die Frau, die das Buch geschrieben hat – ich kann ihren Namen nicht aussprechen – , wird mit dem Tode bedroht, kein Wunder bei dem, was sie alles enthüllt. Warum sagst du nichts, Bob?«
»Weil ich mich erstens frage, wann du so geworden bist, Pam. Ich dachte, du machst dir Gedanken um diese Menschen, um ihre Parasiten, ihre Traumatisierung … «
»Tu ich doch.«
»Nein! Solche Bücher sind Wasser auf die Mühlen der Rechten, merkst du das nicht? Liest du keine Zeitung mehr? Und zweitens: Ich habe ein paar von diesen sogenannten Verrückten bei Zachs Verhandlung erlebt. Und soll ich dir was verraten, Pam? Das sind keine Verrückten. Sie sind nur am Ende ihrer Kraft. Und sie sind es nicht zuletzt deshalb, weil Leute wie du in ihren Lesesalons irgendwelche Schauergeschichten über die strittigsten Aspekte ihrer Kultur lesen und sie dann dafür hassen, denn das ist das, was wir ignoranten, weinerlichen Amerikaner uns seit dem Tag, als die Türme eingestürzt sind, insgeheim doch am meisten wünschen: einen Freibrief dafür, sie zu hassen.«
»Ach, leck mich doch«, fauchte Pam. »Ich fass es nicht. Die Brüder Burgess, Anwälte für die ganze bekackte Welt.«
Bobs neue Wohnung lag in einem Hochhaus mit Portier. Er hatte noch nie zuvor in einem Haus mit Portier oder auch in einem Haus dieser Größe gewohnt, und er merkte sofort, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Die Fahrstühle waren bevölkert mit Kindern und Kinderwagen und Hunden und alten Leuten, mit Männern im Anzug und Frauen mit Aktentaschen, die Haare morgens noch feucht vom Duschen. Es war, als wäre er in eine neue Stadt gezogen. Er wohnte im achtzehnten Stock, gegenüber einem alten Paar, Rhoda und Murray, die ihn in seiner ersten Woche auf ein Willkommensglas einluden. »Unsere ist die beste Etage«, sagte Murray. Er hatte eine dicke Brille und einen Gehstock, mit dem er im Zimmer herumfuchtelte. »Ich schlafe bis mittags, aber Rhoda steht immer schon um sechs auf und mahlt ihren Kaffee, dass es die Toten aufweckt. Haben Sie Kinder? Geschieden? Und wenn schon, Rhoda ist auch geschieden, ich hab sie mir vor dreißig Jahren gekrallt, wer ist heutzutage nicht geschieden?«
»Was soll’s«, sagte Rhoda zum Thema Kinderlosigkeit.
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