Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
weh. Und natürlich glaubt jeder, dass ihm selber so was nie passieren wird. Deshalb gehe ich auch nirgends mehr hin. Ich habe Freundinnen, die liebend gern herkämen, um mir die Hand zu halten. Eher würde ich sterben, ganz im Ernst. Sie triumphieren, innerlich, weil sie denken, sie sind vor so was gefeit. Aber sie sind es nicht.«
»Helen … «
»Bei ihr durfte er sich wichtig fühlen, hat er gesagt. Er hat sie bei ihrer Scheidung beraten. Dreiunddreißig, kaum älter als seine Tochter . Sie hat alles haarklein dokumentiert und ihn dann hingehängt. Aber meinst du, er beichtet mir das? Ach woher, lieber rutscht er noch tiefer hinein in die Gosse, immer schön weiter Richtung Abgrund – nein, halt, die Hölle, es ist die Hölle , hat er gesagt, ist das zu fassen, ich soll Mitleid mit Jim Burgess haben, dem armen Jim Burgess, der die Hölle durchmacht, er hat allen Ernstes so getan, Bob, als müsste ich Mitleid mit ihm haben, immer, immer, immer geht es ihm nur um sich selbst – also lacht er sich als Nächstes eine Lebensberaterin an, Bob, nur für den Fall, dass es dir noch nicht ungeheuerlich genug ist, und sie nimmt ihn mit nach Fire Island, ihr Mann ist verreist, und mir sagt er, er wäre in Atlanta. Ich weiß es nur, weil sie ihm hinterhertelefoniert hat. Hierher, als er schon weg war. Kannst du dir das vorstellen? Aber er hatte mich ja schon so lange belogen, was ist da eine Lüge mehr?« Helen starrte blicklos vor sich hin. »Nichts. Eine Lüge mehr ist gar nichts. Weil alles nichts ist.«
Dann Schweigen, lange. Schließlich sagte Bob mehr zu sich selbst: »Das hat Jim alles gemacht?«
»Das hat Jim alles gemacht. Und wahrscheinlich noch mehr. Die Kinder sind völlig durch den Wind. Sie sind alle heimgeflogen, um mir beizustehen, aber ich konnte doch sehen, dass sie Todesangst hatten. Man braucht Eltern , Bob, ganz egal, wie alt man ist. Ihr Vater ist von seinem Sockel gestürzt, was an sich schon beängstigend genug ist, da brauchen sie nicht auch noch ein Nervenbündel als Mutter. Also musste ich mich zusammenreißen und sie trösten und möglichst schnell wieder wegschicken, und das hat Kraft gekostet, du glaubst nicht, wie viel.«
»Ach, Helen, es tut mir so leid.«
Und das stimmte. Es tat ihm unendlich leid. Es machte ihn auch unendlich traurig. Ihm war, als wäre das Universum in zwei Teile zerbrochen; Helen und Jim bildeten eine Einheit, als zwei waren sie gar nicht denkbar. Er empfand ein fast unerträgliches Mitleid mit ihren Kindern, ihm schien, als hätte er dasselbe verloren wie sie. Aber sie waren jünger, und bei ihnen waren es die Eltern, es musste so viel schlimmer für sie sein … »Oi«, sagte er. »Oi.«
Helen nickte. Nach einer Weile setzte sie versonnen hinzu: »Ich habe alles für ihn getan.«
»Ja.« Das sah Bob ganz klar. Hier in diesem Zimmer hatte Helen Jims Socken aufgehoben, den einen vom Boden, den anderen vom Couchtisch, an dem Tag, als Bob ihnen von Adriana erzählte, die ihren Mann von der Polizei abführen ließ. (Adriana! Die ihm so leidgetan hatte, wie sie am Morgen danach auf dem Gehsteig stand!) »Oh, Helen, das verzeih ich mir nie, dass ich dieser Frau gegenüber Jims Kanzlei erwähnt habe. Es ist mir einfach so rausgerutscht. Ich hätte wissen müssen, dass ihr nicht zu trauen ist. Weißt du noch, wie ich immer wieder gesagt habe, dass es mir nicht ganz koscher vorkommt, was sie der Polizei erzählt hat?«
Helen sah ihn mit leeren Blick an. »Was?«
»Adriana. Du hast recht. Ich hätte wissen müssen, dass sie nichts taugt.«
Helen lächelte betrübt. »Ach, Bobby«, murmelte sie. »Nimm das nicht auch noch auf dich. Er hätte eine andere gefunden. Wie die Lebensberaterin. Von denen liegen anscheinend Heerscharen auf der Lauer da draußen. Ich weiß nicht, für mich ist das alles eine völlig fremde Welt. Ich wüsste nicht mal, was man sagen muss, um eine Affäre anzufangen.«
Bob nickte. »Du bist ein guter Mensch, Helen.«
»Das hat er auch immer gesagt.« Helen hob eine schlaffe Hand, ließ sie in ihren Schoß zurückfallen. »Und mich hat es glücklich gemacht, das zu hören. Mein Gott.«
Bob sah sich langsam im Zimmer um. Helen hatte ihrer Familie ein schönes Heim bereitet, sie war eine liebe, geduldige Mutter gewesen, sie hatte nett mit den Nachbarn geplaudert, an denen Jim arrogant vorbeimarschiert war. Sie hatte das Haus mit Blumen und Topfpflanzen gefüllt, hatte Ana gut behandelt, sie hatte die Koffer für ihre teuren Urlaube gepackt, hatte
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