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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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mehr, die nicht ganz die Großtaten für die Gesellschaft vollbringen, die uns mal vorgeschwebt hatten. Und deshalb tun wir uns leid, huu-huu. Stimmt, ich gehe auf Dinnerpartys, wo an den Wänden echte Picassos hängen, und manchmal, Bobby – ja, ich geb’s zu! – , werde ich traurig, weil mein eigentlicher Traum war, eine Wissenschaftlerin zu werden, die durch Afrika reist und Parasiten entdeckt und von der alle voll Ehrfurcht sprechen. Weil sie Halbtote ins Leben zurückholt. Weil sie ganz Somalia rettet! Alles eben eine Nummer zu groß, zu grandios. Ein stinknormaler Fall von Größenwahn, Bobby.
    Nein, bleib schön hier. Ich wollte diesem Scheißkerl schon lang ein paar Dinge verklickern. Welche Nummer hat er? Egal, ich ruf die Auskunft an. Ja, hallo. Manhattan. Branchenbuch. Eine Anwaltskanzlei, bitte. Anglin, Davenport & Sheath. Danke.«
    »Pam … «
    »Was denn? Mein Therapeut hat mich vor einer halben Stunde gefragt, warum die ganze Familie nach Jims Pfeife getanzt hat. Und ich dachte, ja, warum eigentlich? Warum hat ihn nie jemand zur Rede gestellt, wenn er mal wieder auf dir rumgehackt hat? Er hat mir an dem Abend – ach, egal. Soll er dir selber erzählen, was er über dich gesagt hat. Dass du ihn schon dein ganzes Leben lang wahnsinnig machst … Ja, ich hätte gern Jim Burgess gesprochen. Pam. Pam Carlson.«
    »Pam, warum belästigst du einen Therapeuten mit … «
    Sie schüttelte den Kopf. »Ah, verstehe. Nicht zu sprechen. Schön, dann soll er mich zurückrufen.« Sie ratterte ihre Nummer herunter, wütend, mit eisiger Stimme. »Was?« Sie legte den Kopf schief, hielt sich das freie Ohr zu, sah Bob mit befremdetem Stirnrunzeln an. »Haben Sie gerade gesagt, Mr. Burgess ist nicht mehr für Sie tätig?«
    Die Fahrt bis Park Slope war weder lang noch kurz, einfach eine Zeitspanne, für die Bob zwischen Menschen eingepfercht stand, während die U-Bahn erst unter den Straßen von Manhattan entlangrumpelte und dann unter dem East River hindurch. Sämtliche seiner Mitpassagiere kamen ihm arglos und rührend vor, versunken in Morgengedanken, die ihnen ganz allein gehörten, Worte vielleicht, die zu ihnen gesagt worden waren, oder Worte, die auszusprechen sie nur im Traum den Mut hatten; manche lasen die Zeitung, viele lauschten durch Ohrstöpsel ihrem privaten Soundtrack, doch die meisten starrten wie Bob abwesend vor sich hin, und er war ergriffen von der Einzigartigkeit und Rätselhaftigkeit eines jeden in seinem Blickfeld. In seinem eigenen Kopf, unsichtbar für die Umstehenden, jagten sich die sonderbarsten und schockierendsten Vorstellungen, aber gleichzeitig war er überzeugt, dass alle um ihn herum – all diese Menschen mit ihren Taschen über den Schultern, die es nach vorne warf, wenn der Zug bremste, die sich murmelnd entschuldigten, wenn sie jemandem auf den Fuß traten, und die gemurmelten Entschuldigungen mit einem Nicken quittierten – , dass sie allesamt Allerweltsdingen nachhingen, aber was wusste er, was wusste er denn schon; mit einem Ruck fuhr der Zug wieder an.
    Sein erster Gedanke (oder Gefühlsimpuls, ein richtiger Gedanke war es nicht), nachdem er sich von Pam losgeeist und es ohne Erfolg erst auf Jims und dann Helens Handy probiert hatte, war, dass ein furchtbares Verbrechen verübt worden sein musste – dass Jim Burgess jemanden ermordet hatte oder selbst ermordet werden sollte und die Familie untergetaucht war, eins dieser undurchschaubaren Dramen, über die die Boulevardblätter auf ihren Titelseiten berichteten. So abwegig ihm die Idee auch erschien, erfüllte ihn seine Angst davor doch mit einer großen Zärtlichkeit (und leisem Neid) gegenüber all diesen normalen Menschen, denen es vor ihrem Arbeitstag grauen mochte oder nicht, aber die wenigstens nicht dastanden und über die Ermordung ihres Bruders spekulierten. Nicht ganz richtig im Kopf, das war er. Immer mehr Fahrgäste stiegen aus, und als sie schließlich Park Slope erreichten, war kaum noch jemand bei ihm im Abteil, und von seinem bangen Hochgefühl war nichts geblieben. Was immer mit Jim war – das sagte ihm sein Instinkt – , es war nichts Dramatisches, sondern deprimierend alltäglich. Bob stapfte missmutig vor sich hin; selbst in der Phantasie stattete er seinen Bruder mit der Grandiosität aus, die Pam gemeint hatte.
    Aber Zweifel beschlichen ihn, und vier Ecken von Jims Haus entfernt rief er seinen Neffen Larry an, der zu seiner Überraschung abnahm und zu seiner noch größeren Überraschung sagte: Ach,

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