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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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auf ihn gewartet, während er Golf spielte, und ansonsten (damit hatte Pam recht) Jims endlosem Selbstlob zugehört: wie er heute bei Gericht wieder alle in die Tasche gesteckt hatte, dass er der Beste in der Branche war, das dürfte inzwischen auch der Letzte kapiert haben … Sie hatte ihm schubladenweise Manschettenknöpfe gekauft, eine aberwitzig teure Uhr, weil er sagte, die habe er sich schon immer gewünscht.
    Trotzdem. Ein Heim durfte man nicht zerstören. Das verstanden die Menschen nicht: Ein Heim, eine Familie durften nicht zerstört werden. »Helen«, sagte er, »hat Jim dir erzählt, warum zwischen uns seit Monaten Funkstille herrscht?«
    Eine vage Handbewegung. »Irgendeine Beziehung, die du hattest, keine Ahnung.«
    »Nein. Wir haben gestritten.«
    »Das interessiert mich nicht.«
    »Doch, es muss dich interessieren. Hat er dir nichts von unserem Streit erzählt? Davon, was er mir gesagt hat?«
    »Nein. Und es muss mich überhaupt nicht interessieren. Im Gegenteil. Ich muss alle diese Dinge abschütteln.«
    Er berichtete ihr von seinem Gespräch mit Jim auf dem Balkon ihres Hotelzimmers, bevor Zachary wieder aufgetaucht war. »Damit hat Jim sein ganzes Leben leben müssen, Helen. Er hat seinen Vater getötet, oder glaubt ihn getötet zu haben, und er hatte zu viel Angst, um es irgendwem zu erzählen. Helen?«
    Sie kniff mehrmals heftig die Lider zusammen. Sie sagte: »Und das soll es für mich besser machen?«
    »Es soll dir klarmachen, warum er so verkorkst ist.«
    »Es macht alles noch schlimmer für mich. Ich habe geglaubt, er hat irgendeine Art Midlife-Crisis, dabei war er sein Leben lang ein berechnender Lügner.«
    »So was kannst du nicht lügen nennen, Helen. Das ist Angst.« Er plädierte jetzt, ganz Anwalt, um einen sachlichen Ton bemüht. »Welcher kleine Junge würde nicht versuchen, sich aus so einer Sache rauszuwinden? Er war acht, Helen. Ein Kind. Sogar vor dem Gesetz ist ein Achtjähriger ein Kind. Und er hat diese Tat begangen, oder bildet es sich wenigstens ein, und die Zeit vergeht, und er kann mit niemandem drüber reden, und je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird es, darüber zu reden. Und so lebt er Tag für Tag mit dieser Angst, diesem Gefühl, jeden Moment durchschaut und bestraft werden zu können.«
    Helen erhob sich. »Bob. Lass es. Du machst es nur schlimmer. Du nimmst mir auch noch die letzten Tage in meiner Ehe, die wirklich mir gehört haben, mit einem guten und ehrlichen Ehemann. Ich weiß nicht ein noch aus, ich habe keine Ahnung, wie ich durch den Tag kommen soll. Ganz ehrlich, Bob, ich beneide die Toten. Ich kann nicht mal weinen, weil mich die Laute anwidern, dieses jämmerliche, erbarmungswürdige Geschluchze nachts allein in meinem Bett. Ich lasse meine Anwälte die Vereinbarung ausarbeiten, und dann – keine Ahnung, irgendwo werde ich schon hinziehen. Bitte geh jetzt.«
    »Helen.« Bob stand auf, streckte den Arm nach ihr aus. »Helen, bitte. Hab Mitleid mit ihm. Du kannst ihn nicht verlassen. Du darfst es nicht. Er ist völlig allein. Er liebt dich. Du bist seine Familie. Jetzt komm schon, Helen, du bist seine Frau. Herrgott noch mal. Dreißig Jahre. Die wirft man nicht einfach so weg.«
    Oh, wie die arme Frau da zur Furie wurde. Sie verlor alle Beherrschung, oder gestattete es sich, sie zu verlieren, Bob war sich, wenn er später daran zurückdachte – was er oft tat – , nie ganz sicher, wie viel von dem Ausbruch gesteuert war. Denn sie sagte ein paar ziemlich unglaubliche Dinge.
    Sie sagte (und Bob flüsterte »Oh, Mann«, sooft er sich erinnerte), im tiefsten Innern habe sie immer gedacht, dass die Burgess Gesocks seien. Fast schon asozial eigentlich, lumpiges Hinterwäldlerpack, allein schon diese elende kleine Bruchbude, in der sie alle großgeworden waren, und dann Susan mit ihrer Biestigkeit, abblitzen lassen hatte sie Helen, all die Jahre, von der Sekunde ihres Kennenlernens an. Ob Bob wissen wolle, was Susan Helen einmal zu Weihnachten geschenkt hatte? Einen Regenschirm!
    Helen sagte, Bob solle gehen, also ging er zur Tür hinaus, und er war schon auf der Straße, als er Helen hinter sich herbrüllen hörte: »Einen schwarzen Regenschirm! Nein, danke! «

11
    Bob fuhr und fuhr und fuhr. Das Auto rollte um eine Kurve, einen Hang hinauf, wieder hinab und über ein Flüsschen, durch eine Ortschaft mit einer Handvoll Häusern und einer Tankstelle. Er musste Stunden fahren, bis das erste Schild das College ankündigte. Über Meilen hinweg war die

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