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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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tuuut mir leid!«
    Bob starrte sie an.
    »Das war vielleicht eine Zicke. Sie hat mich immer mit ›Pamela‹ angeredet, und ich sagte, ich heiße Pam, und sie sagte, das ist ein Name für ein Mädchen und Sie sind doch eine Frau. Ist das zu fassen? So eine Dummschwätzerin mit rotem Blazer und einem Schreibtisch wie ein Tennisplatz.«
    »Pam, warum bezahlst du einen Therapeuten, um über Shirley Falls zu reden?«
    Sie sah ihn verblüfft an. »Na ja, ich rede ja nicht nur über Shirley Falls. Wir kommen nur ab und zu mal drauf, weil ich, keine Ahnung, weil ich es irgendwie vermisse.«
    »Du wohnst in einem riesigen Stadthaus, du gehst auf Partys mit echten Picassos an den Wänden, und du vermisst Shirley Falls?«
    Sie senkte den Blick auf das Pflaster. »Manchmal.«
    »Pam. Hör mir zu.« Er sah einen Ausdruck der Furcht über ihr Gesicht huschen. Leute auf dem Weg zur Arbeit eilten an ihnen vorbei, Aktenmappen an langen Riemen quer vor der Brust, Absätze übers Pflaster klackend. »Eine Frage möchte ich dir gern stellen. Nach unserer Trennung – hast du da Jim abgepasst und zu viel getrunken und ihm gesagt, wie attraktiv du ihn findest, und ihm von irgendwelchen Abenteuern während unserer Ehe erzählt? Einfach nur ja oder nein.«
    »Wie bitte?« Ihr Kopf ruckte leicht nach vorn, als versuchte sie Bob zu orten. »Wie bitte?«, fragte sie noch einmal. Aus der Furcht wurde Verwirrung. »Deinem Bruder gesagt, wie attraktiv ich ihn finde? Jim? «
    »Habe ich noch mehr Brüder? Ja, Jim. Viele Menschen finden Jim attraktiv. Einer der attraktivsten Männer des Jahres 1993.« Bob trat ein paar Schritte zurück, heraus aus dem Strom der zum Bus oder zur U-Bahn Eilenden. Pam folgte ihm, sie standen jetzt fast auf der Straße. Er sagte ihr, was Jim in dem Hotel in Shirley Falls von ihr behauptet hatte, als sie für die Kundgebung dort gewesen waren. »Du hättest ein paar unbedachte Geständnisse abgelegt«, schloss er.
    »Weißt du, was?« Pam fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar. »Und hör mir gut zu, Bob Burgess. Ich kann deinen Bruder nicht ausstehen. Willst du wissen, warum? Wir sind uns ähnlich, absolut. Nur ist er völlig anders als ich, weil er nämlich hart und erfolgreich ist und weiß, wie er sich immer neue Zuhörer verschafft. Ich dagegen bin unsicher und ein bisschen verkracht, und ich finde meine Zuhörerschaft nicht, was mit ein Grund ist, warum ich zu diesem Seelenklempner renne, auch wenn ich ihn fürs Zuhören bezahlen muss. Aber Jim und ich – wir durchschauen einander, seit dem ersten Tag schon, und jetzt hat er mich auf seine passiv-feindselige Art ausgebootet. Er ist so geil nach Aufmerksamkeit, dass einem schlecht werden kann, und die arme Helen macht gute Miene dazu, weil sie für alles andere zu blöd ist. Jim braucht Aufmerksamkeit wie die Luft zum Atmen, und sobald er sie hat, macht er dicht, weil Aufmerksamkeit brauchen nicht das Gleiche ist wie eine Beziehung aufbauen, was das ist, woran normale Menschen interessiert sind. Und ja, ich habe ein Glas mit ihm getrunken. Und ja, er hat ein paar Dinge aus mir herausgekitzelt, weil das seine Spezialität ist. Weil seine ganze Karriere darauf basiert, dass er den Leuten das entlockt, was er von ihnen hören will, egal, ob es ein Geständnis ist oder eine Lüge. Aber dass ich ihn attraktiv finde? Klingt das in irgendeiner Weise nach mir? Oh, Jim, ich hab dich schon immer so attraktiv gefunden? Sonst noch Wünsche! Helen könnte das sagen, so eine arme, reiche trübe Tasse wie Helen.«
    »Er hat gesagt, du bist ein Parasit.«
    »Reizend. Und reizend, dass du es mir weitersagst.«
    »Ach, Pam. Wen interessiert schon, was Jim denkt?«
    »Dich interessiert es! Sonst würdest du mich hier nicht so angehen.«
    »Ich gehe dich nicht an. Ich wollte es einfach nur wissen.«
    »Weißt du, was ich gern wüsste? Woher dein Bruder das Recht nimmt, dir solchen Scheiß in den Kopf zu setzen! Er ist hier der Parasit. Der sich an Wally Packer gemästet hat. Und sich jetzt an Wirtschaftskriminellen mästet. Oh, was für ein Samariter!«
    Sie weinte nicht etwa. Nicht im Entferntesten. Sie war so sehr Pam wie seit Jahren nicht mehr. Er entschuldigte sich. Sagte, er werde ihr ein Taxi rufen.
    »Scheiß auf ein Taxi.« Sie zückte ihr Handy. »Ich hab Lust, ihn jetzt auf der Stelle anzurufen. Darfst gerne zuhören.« Sie richtete das Handy auf Bobs Brustkasten. »Wobei Jim und ich gar nicht so sehr Parasiten sind, Bob. Wir sind Statistik. Einfach zwei Babyboomer

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