Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
herunterließ, sah Helen plötzlich, dass an ihrem Verlobungsring der große Diamant fehlte. Zuerst tat ihr Verstand sich schwer, es zu begreifen, immer wieder starrte sie auf die in die Luft ragenden Platinzinken, die nichts mehr festhielten. Hitze schoss ihr in die Wangen, sie suchte die Fensterbänke ab, zog die Läden hoch, ließ sie wieder herunter, tastete auf dem Boden um ihre Füße herum, stülpte jede Tasche jedes Kleidungsstücks, das sie getragen hatte, nach außen. Dann rief sie Jim an. Er war in einer Sitzung. Sie rief Bob an, der zu Hause arbeitete, um sich in Ruhe auf eine komplexe Revisionsbegründung vorzubereiten, die er am nächsten Tag vortragen musste. Trotzdem war er sofort bereit, zu kommen. »Boah«, sagte er, nahm ihre Hand, kniff die Augen zusammen. »Irgendwie unheimlich. Als würde man plötzlich im Spiegel sehen, dass einem ein Schneidezahn fehlt.«
»Ach, Bobby. Du bist ein Schatz.« Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
Bob zog gerade die Sofapolster auseinander, als Jim heimkam, so außer sich vor Wut, dass Bob und Helen die Suche einstellen mussten. »Dieser Scheißkerl Dick Hartley, diese dämliche Diane Dodge! Bescheuerte Arschgeigen, bescheuerter Staat, wie ich diesen bescheuerten Staat hasse!« Auf diese Weise erfuhren Bob und Helen, dass Zach wegen Verletzung der Bürgerrechte angeklagt worden war.
»Selbst Charlie war völlig überrascht.« Susans panikerfüllte Stimme tönte aus der Freisprecheinrichtung in Jims oberem Arbeitszimmer gleich neben dem Schlafzimmer. »Ich begreife nicht, wozu das jetzt auf einmal gut sein soll. Es ist drei Monate her. Warum haben die so lange gewartet?«
»Weil es Dilettanten sind.« Jim schrie es beinahe. Er stemmte sich in seinem Schreibtischsessel nach hinten, beide Hände um die Armlehnen gespannt; Bob und Helen saßen ein Stück entfernt. »Weil Dick Hartley eine Flachpfeife ist und so lange gebraucht hat, um seine unterbelichtete Lady Di von der Leine zu lassen.«
»Aber warum machen sie das denn überhaupt?« Susans Stimme bebte.
»Um gut dazustehen, deshalb!« Jim beugte sich so schnell nach vorn, dass der Sessel ein schnalzendes Geräusch von sich gab. »Weil Diane Dodge vielleicht selber eines Tages Bundesanwältin werden oder sich um das Gouverneursamt bewerben will oder um einen Sitz im Kongress, und deshalb möchte sie ihre lausige liberale Vita gern mit diesem heroischen Kampf für das Gute aufpeppen.« Er schloss kurz die Augen, dann fügte er hinzu: »Fotze.«
»Jim, Schluss jetzt. Das ist widerlich.« Helen beugte sich vor, eine Hand schützend über ihren Ehering gelegt. »Susan? Susan? Charlie Tibbetts regelt das schon.« Sie lehnte sich zurück, beugte sich noch einmal vor. »Das bin jetzt ich, Helen.«
Ihr Gesicht war gerötet und feucht. Bob konnte sich nicht erinnern, Helen jemals so gesehen zu haben, selbst ihr Haar schien stumpf vor lauter Unglück, als sie es sich aus den Augen strich. Er flüsterte ihr zu: »Du kommst nicht zu spät, ihr habt noch jede Menge Zeit«, weil er wusste, dass sie sich um die Opernverabredung mit den Anglins sorgte; sie hatte ihm davon erzählt, während sie in den Sesselritzen nach dem Diamanten gesucht hatten.
Helen antwortete mit leiser Stimme: »Aber jetzt hat er von Susan diese schreckliche Neuigkeit erfahren, da ist er sicher den ganzen Abend wütend – oh, es macht mich krank, da hinzuschauen.« Sie drehte die leere Fassung nach hinten.
»He, seid mal ruhig.« Jim machte eine abwehrende Handbewegung. »Noch mal, Susan, was ist mit der Bundesanwaltschaft?«
Mit zittriger Stimme berichtete Susan, das FBI habe Charlie signalisiert, seine Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Und die Somali übten angeblich ebenfalls Druck aus, umso mehr, als der Staat Maine jetzt den ersten Schritt getan hatte. Oder so ähnlich, richtig verstanden habe sie es nicht. Dienstag würden sie vor Gericht erscheinen müssen. Charlie hatte ihr gesagt, Zach sollte einen Anzug tragen, aber Zach hatte keinen Anzug, und jetzt wusste sie nicht, was sie tun sollte.
»Ich sag dir, was du tust, Susan.« Jim sprach langsam und deutlich. »Du gehst mit deinem Sohn zu Sears und kaufst ihm einen Anzug. Du reißt dich zusammen und stellst dich der Sache wie eine Erwachsene.« Jim schaltete die Freisprechanlage ab und nahm den Hörer zur Hand. »Schon gut, schon gut, es tut mir leid. Und jetzt leg auf, Susan. Ich muss ein paar Leute anrufen.« Er schob die Manschette zurück, sah auf seine Armbanduhr.
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