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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Frau Pastor vielleicht verknallt oder so was?«
    »Verknallt?«
    »Ja. Weil, irgendwie macht es so ein bisschen den Eindruck.« Zach zuckte die Achseln. »Obwohl, verknallen sich alte Leute überhaupt noch?«
    »Doch, tun sie. Aber bin ich in Margaret Estaver verknallt? Nein.«
    »Du lügst.« Plötzlich grinste Zachary. »Ist egal.« Er trank von seinem Wein. »Ich wollte bloß noch nach Hause. Die ganze Zeit da drinnen hab ich nur gedacht, ich will nach Hause.«
    »Ja, und da bist du jetzt«, sagte Susan.

4
    Es gab Samstagabende wie den heutigen, wenn Pam an der Seite ihres partyerprobten Ehemanns aus dem Fahrstuhl heraus in eine Wohnung trat, an deren Wänden Kugeln aus gelbem Licht zauberische Schatten zogen, wenn sie sich vorbeugte und mit Leuten, die sie kaum kannte, Wangenküsse tauschte, sich ein Glas Champagner von einem Tablett nahm und zwischen olivgrün oder burgunderrot gestrichenen Wänden, an denen erleuchtete Gemälde hingen, auf einen langen, mit Kristall gedeckten Tisch zuging, wenn sie sich zur Seite wandte, um hinabzusehen auf eine der triumphal bis zum Horizont hingestreckten Avenues mit ihrem Taumel roter, sich miteinander vermengender Rücklichter, und dann wieder zurück zu den Frauen mit ihren maßgefertigten Schuhen und schwarzen Kleidern, in deren Dekolletés silberne oder goldene Halsketten fielen – es gab Samstagabende, da dachte Pam wie jetzt auch wieder: Das ist es, was ich gewollt habe.
    Was genau sie damit meinte, hätte sie nicht zu sagen vermocht. Es war einfach eine Wahrheit, die mit sanfter Selbstgewissheit von ihr Besitz nahm, und all die nagenden Bedenken, sie könnte das falsche Leben leben, waren wie weggeblasen. Sie war im Reinen mit sich, in einer Gänze, die beinahe etwas Transzendentes hatte, so gut aufgehoben fühlte sie sich in diesem Moment. Denn zweifellos hatte nichts in ihrer Vergangenheit – nicht die langen Fahrradfahrten über die Feldwege ihrer Kindheit, nicht die Stunden in der gemütlichen Stadtbibliothek, nicht das Studentenwohnheim in Orono mit seinen knarzenden Holzdielen, nicht das enge Burgess-Haus, nicht einmal die Euphorie von Shirley Falls, die ihr wie der Beginn des Erwachsenenlebens erschienen war, oder ihre und Bobs Wohnung in Greenwich Village, die sie so geliebt hatte, mit dem Lärm auf den Straßen rund um die Uhr, den Varietés und Jazzclubs –, nichts von alledem hatte sie je ahnen lassen, dass sie etwas wie dieses wollen und bekommen würde, diese erlesene Schönheit, die von all den Menschen, die hier freundlich nickend mit ihr sprachen, mit solch charmanter wie verblüffender Selbstverständlichkeit hingenommen wurde. Die Schale hätten er und seine Frau in Vietnam gekauft, sagte ihr Gastgeber gerade, vor acht Jahren. »Oh, fanden Sie es nicht wundervoll?«, fragte Pam. »Fanden Sie Vietnam nicht einfach wundervoll?«
    »Oh, ja«, sagte seine Frau, indem sie näher an Pam herantrat und die anderen um sie herum mit Blicken einbezog. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wundervoll. Und dabei hatte ich erst gar nicht fahren wollen, um ehrlich zu sein.«
    »Und es war kein bisschen … na ja … gruselig?« Pam war der Frau, die das fragte, schon einige Male begegnet. Sie war mit einem berühmten Fernsehjournalisten verheiratet, und ihr Südstaatenakzent, das war Pam aufgefallen, verstärkte sich direkt proportional zu ihrem Alkoholkonsum. Ihre Kleidung war – auch an diesem Abend, an dem sie eine hochgeschlossene weiße Bluse mit Stehkragen trug – nicht elegant, sondern wirkte wie ein trotziger Tribut an jene südstaatliche Damenhaftigkeit und Wohlerzogenheit, die ihr vor Jahren eingeimpft worden war. Pam empfand eine heimliche Zuneigung zu ihr, der Courage wegen, die sie durch den Bruch mit ihrer zugeknöpften Vergangenheit bewiesen hatte.
    »Überhaupt nicht, es ist wunderschön. Ein herrliches Land«, sagte die Gastgeberin. »Man kann sich gar nicht vorstellen – also, verstehen Sie, man käme einfach nicht auf den Gedanken, dass dort diese schrecklichen Dinge geschehen sind.«
    Als sie ins Speisezimmer geleitet wurde – an einen Platz weit weg von ihrem Mann, denn die Regeln verlangten Durchmischung (sie winkte ihm vom anderen Ende des langen Tischs mit zwei Fingern) – , fiel Pam plötzlich ein, was Jim Burgess vor Jahren zu ihr gesagt hatte, als sie und Bob erstmals über einen Umzug hierher nachgedacht hatten: »New York bringt dich um, Pam.« Das hatte sie Jim nie verziehen. Er hatte ihren Hunger nicht erkannt, ihre

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