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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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nun in Verbindung mit der Gedenktafel brachte, die sie am Fluss gesehen hatte; ach, überall auf der Welt wurde gestorben, und was konnte man dagegen tun, nichts! Sie war abgeschnitten von allem, was ihr vertraut war (ihre Kinder! Sie sollten wieder klein sein, frisch gebadet und feucht). Sie sagte: »Vielleicht fliege ich morgen doch heim.«
    Bob nickte, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.
    Eine dünne Wolkenschicht dämpfte das Nachmittagslicht über dem Fluss, der graue Teppichboden im Hotelzimmer wirkte wie eine dunklere Schattierung des blassen Himmelsgraus, und das Geländer des kleinen Balkons vor dem Fenster zog eine feine, aber kräftige Linie in einem noch tieferen Grauton. Jim sah erschöpft aus. Am Morgen hatte er Helen nach Portland zum Flughafen gebracht, und als er zurückkehrte, hatte Susan den Entschluss gefasst, ihren Sohn bei der Polizei als vermisst zu melden. »Noch besteht kein Haftbefehl gegen ihn«, argumentierte sie, und das stimmte natürlich. »Und seine Bewährungsauflagen und die Bürgerrechtsanordnung verlangen nur, dass er sich von den Somali fernhält.«
    »Trotzdem«, sagte Bob geduldig, »ist es vielleicht nicht das Allerschlaueste, ihn ausgerechnet jetzt als vermisst zu melden.«
    »Aber er ist doch vermisst!«, rief Susan, also gingen sie mit ihr aufs Polizeirevier und gaben die Anzeige auf. Auch die Beschreibung von Zachs Auto – sein Kennzeichen leuchtete auf einem Computerbildschirm auf – wurde natürlich beigefügt, und das Wissen, dass ab sofort Polizisten nach dem Wagen Ausschau hielten, schürte in Bob eine ganz neue Art der Furcht und gleichzeitig der Hoffnung. Er stellte sich Zach in einem winzigen Motelzimmer vor, seine Reisetasche mit den Klamotten auf dem Fußboden, Zach selbst auf dem Bett liegend, Musik aus dem Notebook hörend. Wartend.
    Jim und Bob brachten Susan zurück zu ihrem Haus. Jim blieb in der Auffahrt hinterm Lenkrad sitzen. »Suse, schaffst du’s mal kurz allein? Bob und ich müssen ins Hotel, ein paar Arbeitstelefonate erledigen. Wir sind rechtzeitig zum Abendessen wieder da.«
    »Mrs. Drinkwater kocht uns etwas. Aber ich kann nichts essen«, sagte Susan beim Aussteigen.
    »Dann isst du eben nichts. Wir sind bald wieder da.«
    Bob sagte: »Er hat Klamotten mitgenommen, Susie. Es wird alles wieder gut.« Susan nickte, und die Brüder schauten ihr nach, wie sie die Verandastufen hinaufstieg.
    Im Hotelzimmer ließ Bob seine Jacke auf den Boden neben dem Bett fallen. Jim hatte seine anbehalten, griff in die Seitentasche und warf ein Mobiltelefon aufs Bett.
    »Was?«, fragte Bob.
    »Zachs Handy.«
    Bob nahm das Telefon und sah es sich an. »Susan hat doch gesagt, das Handy und der Computer wären weg.«
    »Der Computer ist auch weg. Das Handy hab ich in seinem Zimmer gefunden, in der Schublade neben seinem Bett. Unter ein paar Socken. Ich hab es Susan nicht erzählt.«
    Bob spürte Nadelstiche unter den Achseln. Mit steifen Gliedern ließ er sich auf dem anderen Bett nieder. »Vielleicht ist es ein altes«, sagte er schließlich.
    »Nein. Die Anrufe sind neu, von letzter Woche. Die meisten bei Susan in der Arbeit. Der letzte Anruf war bei mir, an dem Morgen, als er verschwunden ist.«
    »Bei dir? Im Büro?«
    Jim nickte. »Und der davor bei der Auskunft. Wahrscheinlich, um sich nach der Nummer der Kanzlei zu erkundigen. Die hätte er auch googeln können, keine Ahnung, warum er das nicht getan hat. Bei mir ist jedenfalls kein Anruf angekommen, und eine Nachricht hat er auch nicht hinterlassen. Ich hab die Sekretärin heute Morgen auf der Rückfahrt von Portland angerufen, und sie erinnert sich an einen Anruf für mich, aber der Anrufer hat seinen Namen nicht nennen wollen, und als sie ihn fragte, worum es ging, hat er aufgelegt.« Jim rieb sich beide Schläfen. »Ich hab sie angebrüllt. Was natürlich oberdämlich war.« Er ging zum Fenster, die Hände in den Taschen. Er fluchte leise.
    »Ist sein Computer wirklich weg?«, fragte Bob.
    »Scheint so. Und die Reisetasche ja offenbar auch. Das weiß Susan besser als ich.« Er wandte sich vom Fenster ab. »Hast du gar nichts zu trinken, Goofy? Ich könnte einen Schluck vertragen.«
    »Bei Susan. Aber es gibt ja die Minibar.«
    Jim öffnete die holzverkleidete Tür, drehte die Deckel von zwei kleinen Wodkaflaschen, leerte ihren Inhalt in ein Glas und schüttete ihn in sich hinein wie Wasser.
    »Junge«, sagte Bob.
    Jim verzog das Gesicht, atmete geräuschvoll aus. »Jaaah.« Er griff wieder in die

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