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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Minibar und holte eine Dose Bier heraus; eine kleine Schaumblüte ging auf, als er den Verschlussring nach hinten zog.
    »Jimmy, pass auf. Iss wenigstens was, bevor du mit dem Frusttrinken anfängst.«
    »Okay.« Es klang friedfertig. Jim hatte sich in den Sessel gesetzt, immer noch in der Jacke. Er legte den Kopf in den Nacken und trank. Dann hielt er Bob die Dose hin. Bob schüttelte den Kopf. »Gibt’s das?« Jim grinste müde. »Dass du mal nichts trinken magst?«
    »Immer wenn’s ernst ist«, sagte Bob. »Als Pam mich verlassen hat, hab ich ein Jahr lang keinen Tropfen angerührt.« Jim antwortete nicht darauf, und Bob sah ihn den nächsten tiefen Schluck aus der Bierdose nehmen. »Bleib, wo du bist«, befahl Bob seinem Bruder. »Ich geh runter und organisier dir was zu essen.«
    »Ich bin hier.« Jim lächelte wieder und leerte die Dose.
    Susan saß auf der Couch und sah fern. Eine Natursendung lief, Dutzende von Pinguinen watschelten über eine endlose Eisfläche. Mrs. Drinkwater saß im Ohrensessel. »Süße kleine Biester, finden Sie nicht?« Sie zupfte an der Tasche ihrer Küchenschürze.
    Nach einer ganzen Weile sagte Susan: »Danke.«
    »Für was denn, Kindchen?«
    »Sie sitzen hier mit mir«, sagte Susan. »Und kochen für uns«, fügte sie hinzu.
    Einer nach dem anderen rutschten die Pinguine vom Eis hinein ins Wasser. Aus der Küche duftete es nach dem Huhn, das Mrs. Drinkwater ins Backrohr geschoben hatte. Susan sagte: »Das fühlt sich alles so unwirklich an. Wie im Traum.«
    »Ich weiß, Kindchen. Gut, dass Ihre Brüder hier sind. Ihre Schwägerin ist abgereist?«
    Susan nickte. Einige Minuten vergingen. »Ich mag sie nicht«, sagte Susan. Weitere Minuten vergingen. »Stehen Sie Ihren Töchtern nahe?«, fragte Susan, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden. Als sie keine Antwort bekam, sah sie Mrs. Drinkwater an. »Entschuldigen Sie. Es geht mich nichts an.«
    »Nein, nein, das ist schon in Ordnung.« Mrs. Drinkwater tupfte sich mit einem zusammengeknüllten Papiertaschentuch unter den riesigen Brillengläsern herum. »Ich hatte eine Menge Ärger mit ihnen, um ehrlich zu sein. Besonders mit der Älteren.«
    Susan schaute wieder auf den Fernseher. Die Köpfe der Pinguine wippten im Wasser auf und ab. »Wenn Sie ein bisschen erzählen mögen – mir würde es helfen«, sagte Susan.
    »Ja, sicher. Gern. Annie hat diese Marihuanazigaretten geraucht. Das gab ein Donnerwetter, kann ich Ihnen sagen. Ich war auf Carls Seite. Annie hatte einen Freund, der eingezogen werden sollte. Das mit Vietnam ging damals gerade los, wissen Sie. Der Junge floh nach Kanada, um der Einberufung zu entgehen, und Annie ist mit ihm gegangen. Und als es aus war zwischen den beiden, ist sie droben geblieben. Sie wollte nicht in einem so verkommenen Land wie unserem leben, hat sie gesagt.« Mrs. Drinkwater machte eine Pause. Sie schaute auf das Tuch in ihrer Hand, machte Anstalten, es auf dem Schoß auszubreiten, knüllte es wieder zusammen.
    Susan sagte zum Fernseher: »Er hat Kleider mitgenommen. Man nimmt doch keine Kleider mit, wenn man sie gar nicht tragen will.« In neutralem Ton fügte sie hinzu: »Haben Sie sie besucht?«
    »Sie wollte uns nicht sehen.« Mrs. Drinkwater schüttelte den Kopf.
    Die Pinguine stemmten sich mit den Flossen zurück auf das Eis und stellten sich auf ihre Plattfüße, die Augen blank, auf den kleinen Körpern glitzerte das Wasser.
    »Annie hatte ein romantisches Bild von Kanada«, sagte Mrs. Drinkwater. »Dass ihr Urgroßvater von dort weg ist, dass sie ihn von seiner Farm gejagt haben, weil er bankrott war, das war ihr egal. Richtige Teufel waren diese Gläubiger, aber Annie bildete sich ein, alles über moralische Verkommenheit zu wissen. ›Ha!‹, konnte ich da nur sagen.« Mrs. Drinkwaters Fuß in dem Frotteepantoffel hüpfte auf und ab.
    »Hatten Sie nicht gesagt, dass sie in Kalifornien lebt? Ich dachte, das hätten Sie mal gesagt.«
    »Da lebt sie jetzt auch.«
    Susan stand auf. »Ich ruh mich oben ein bisschen aus, bis meine Brüder kommen. Aber noch mal vielen Dank. Dass Sie so nett zu mir sind.«
    »Eine alte Plaudertante bin ich.« Fast verlegen schwenkte Mrs. Drinkwater die Hand vor ihrem Gesicht. »Ich rufe Sie, wenn sie da sind.« Mrs. Drinkwater blieb im Sessel sitzen, zupfte an ihrer Schürze herum, zerpflückte das Taschentuch in kleine Fetzen. Im Fernsehen war statt der Pinguine jetzt der Regenwald dran. Mrs. Drinkwater schaute hin, während in ihrem Kopf die Gedanken kreisten.

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