Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
Vom Netzwerk:
neben dem Schreibtisch. »Was meinst du, wie lange wir noch bleiben müssen?«
    Jim kratzte sich den Fuß und sah sie an. »Das weiß ich nicht. So lange, bis wir wissen, was los ist. Ich weiß es nicht. Wo sind meine Socken?«
    »Auf der anderen Seite vom Bett.« Helen mochte sie nicht anfassen.
    Er beugte sich hinüber, streifte sie mit großer Sorgfalt über die Füße. »Sie kann jetzt nicht allein bleiben. Wir müssen ihr zur Seite stehen, was immer passiert. Wie immer es ausgeht.«
    »Sie hätte Steve bitten sollen herzukommen. Er hätte es ihr anbieten müssen.« Helen stand auf und ging zurück zur Balkontür. »Da unten wird geheiratet. Mitten im Winter. Unter freiem Himmel.«
    »Warum hätte Susan ihn bitten sollen zu kommen? Sie hat ihn seit sieben Jahren nicht gesehen, er hat seinen Sohn seit sieben Jahren nicht gesehen. Warum sollte Susan ihn jetzt plötzlich brauchen?«
    »Darum. Weil sie ein gemeinsames Kind haben.« Sie sah ihren Mann herausfordernd an.
    »Hellie, du machst es mir grade ein bisschen schwer. Ich will nicht mit dir streiten. Warum zwingst du mich dazu? Meine Schwester macht das Schlimmste durch, was einer Mutter passieren kann: Ihr Sohn ist verschwunden, sie weiß nicht einmal, ob er noch lebt.«
    »Aber das ist nicht deine Schuld«, sagte Helen. »Und meine auch nicht.«
    Jim stand auf, schlüpfte in seine Slipper. Er klopfte die Hosentaschen nach den Autoschlüsseln ab. »Wenn du nicht hier sein magst, Helen, flieg nach Hause. Buch einen Platz in der Abendmaschine. Susan ist es egal. Es wird ihr nicht mal auffallen.« Er zog den Reißverschluss seiner Jacke zu. »Wirklich. Es ist okay.«
    »Ich reise doch nicht einfach ab und lass dich hier allein.«
    Am Nachmittag packte sie sich warm ein und machte einen Spaziergang am Fluss. Das Sonnenlicht glitzerte noch grell auf dem Schnee, blitzte hell auf dem Wasser. Etwas kam in Sicht, ein Kriegerdenkmal, so wie es aussah. Helen blieb stehen. Sie erinnerte sich an kein Kriegerdenkmal in Shirley Falls, aber sie war natürlich seit Gott weiß wie vielen Jahren nicht mehr hier gewesen. Große Granitplatten waren aufrecht zu einem Kreis aufgestellt. Als sie näher trat, stellte sie bestürzt fest, dass eine von ihnen dem Gedenken an eine junge Frau gewidmet war, die kürzlich im Irak ums Leben gekommen war. Alice Rioux. Einundzwanzig. So alt wie Emily. »Ach, kleines Häschen«, flüsterte Helen. Traurigkeit verdüsterte den Sonnenschein um sie herum. Sie machte kehrt und ging zurück zum Hotel.
    Der Anblick des Zimmermädchens, das mit einem Karren voller Handtücher vor ihrer Tür stand, erschreckte Helen. Ihr Gewand reichte vom Kopf bis zu den Füßen und ließ nur das Gesicht frei, runde braune Backen und leuchtend dunkle Augen, was hieß, dass sie somalisch sein musste, denn andere schwarze Muslime gab es hier oben in Shirley Falls, Maine, doch wohl nicht. »Hallo!«, sagte Helen mit munterer Stimme.
    »Hallo.« Das Mädchen – vielleicht auch eine schon ältere Frau, woher sollte Helen das wissen, ihr Gesicht blieb für sie unlesbar – trat mit einer schüchternen Gebärde zur Seite, und als Helen ins Zimmer kam, war es schon gemacht. Sie würde daran denken, ein ordentliches Trinkgeld zu hinterlassen.
    Gegen fünf tauchte Bob auf – wahrscheinlich brauchte er etwas zu trinken, dachte Helen, und eine Auszeit von der Verzweiflung seiner Schwester. »Hereinspaziert«, rief sie. »Wie geht’s deiner Schwester?«
    »Unverändert.« Bob nahm sich ein Fläschchen Scotch aus der Minibar.
    »Ich trink einen mit«, sagte Helen. »Bringt Susan bloß nicht mit ins Hotel. Ich glaube, das Zimmermädchen ist eine Somalierin. Pardon, Somali.« Helen machte eine ausladende Geste, die die Kopf-bis-Fuß-Verhüllung andeuten sollte.
    Bobs Blick war etwas befremdet. »Ich glaube nicht, dass Susan etwas gegen die Somali hat.«
    »Nicht?«
    »Sie hat etwas gegen den Bezirksstaatsanwalt und gegen die stellvertretende Generalstaatsanwältin und die Bundesanwaltschaft, die Presse – die ganze Bagage eben. Macht es dir etwas aus, wenn ich die Nachrichten anschalte?«
    »Natürlich nicht.« Aber es machte ihr etwas aus. Sie fühlte sich befangen mit ihrem Glas Hotelwhiskey in der Hand; dass der Aktienmarkt gestern um vierhundertsechzehn Punkte eingebrochen war, bestürzte sie, aber sie durfte nichts dazu sagen, aus Respekt vor der Familienkrise, und eine Explosion im Irak hatte acht US -Soldaten und neun Zivilisten getötet, was ihr umso näherging, als sie es

Weitere Kostenlose Bücher