Das Leben und das Schreiben
brachte.
Fillebrown versichert mir, dass er das gern gemacht habe, und fügt hinzu, vielleicht habe jemand seine Hand über mich gehalten. »Ich bin schon seit zwanzig Jahren dabei«, sagt er mir am Telefon, »und als ich sah, wie Sie da im Graben lagen und welches Ausmaß die Verletzungen hatten, die Sie durch den Zusammenstoß davongetragen hatten, dachte ich nicht, dass Sie es bis zum Krankenhaus schaffen würden. Sie haben Glück, dass Sie noch unter den Lebenden sind.«
Das Ausmaß der Verletzungen durch den Zusammenstoß ist derart, dass die Ärzte im Northern Cumberland Hospital der Meinung sind, mich dort nicht behandeln zu können; es wird ein Rettungshubschrauber angefordert, der mich zum Central Maine Medical Center in Lewiston bringen soll. Dann kommen meine Frau, mein ältester Sohn und meine Tochter. Die Kinder dürfen mich nur kurz besuchen, meine Frau darf länger bleiben. Die Ärzte sagen ihr, dass ich vollkommen demoliert sei, es aber schaffen werde. Die untere Hälfte meines Körpers ist abgedeckt. Sie darf sich nicht meine so interessant nach rechts verdrehte Hüfte ansehen, aber sie darf mir das Blut aus dem Gesicht waschen und die Glassplitter aus dem Haar zupfen.
Ich habe eine lange klaffende Wunde am Kopf, das Resultat meiner Kolission mit Bryan Smith’ Windschutzscheibe. Weniger als fünf Zentimeter nach links, und ich wäre gegen die stählerne A-Säule auf der Fahrerseite geprallt. Das hätte mich wahrscheinlich das Leben gekostet, oder ich läge nun im Koma, dahinvegetierend wie Gemüse mit Beinen. Wäre ich auf einen der Felsen gefallen, die neben dem Fahrbahnrand der Route 5 aus dem Boden ragen, wäre ich wahrscheinlich ebenfalls getötet worden oder jetzt dauerhaft gelähmt. Ich bin jedoch nicht auf sie gefallen. Ich wurde über den Van und über vier Meter durch die Luft geschleudert und landete genau neben den Felsen.
»Sie müssen sich im letzten Moment ein wenig nach links gedreht haben«, sagte mir Dr. David Brown hinterher. »Sonst würden wir uns jetzt nicht unterhalten.«
Der Rettungshubschrauber landet auf dem Parkplatz des Northern Cumberland Hospitals, und ich werde nach draußen geschoben. Der Himmel ist klar und blau. Die Rotorblätter des Hubschraubers klatschen laut. Irgendjemand schreit mir ins Ohr: »Schon mal Hubschrauber geflogen, Stephen?« Der Sprecher klingt fröhlich, als freute er sich für mich. Ich möchte antworten, ja, ich bin schon mal Hubschrauber geflogen, zweimal sogar, kann aber nicht. Plötzlich fällt mir das Atmen sehr schwer.
Ich werde in den Hubschrauber geladen. Ich sehe einen glitzernden Streifen blauen Himmel, als wir abheben, keine einzige Wolke. Wunderschön. Ich höre wieder Stimmen aus dem Funk. An diesem Nachmittag höre ich ständig Stimmen, scheint mir. Das Atmen wird allerdings immer schwerer. Ich mache mich bemerkbar, versuche es wenigstens, und ein Kopf beugt sich verkehrt herum in mein Gesichtsfeld.
»Fühlt sich an, als würde ich ertrinken«, flüstere ich.
Jemand überprüft etwas, und ein anderer sagt: »Seine Lunge kollabiert.«
Mit einem Rascheln wird etwas ausgepackt, dann spricht mir der andere laut ins Ohr, damit ich ihn bei dem Rotorenlärm verstehen kann. »Wir müssen Sie intubieren, Stephen. Es tut ein bisschen weh, ein kleiner Pikser. Halten Sie durch!«
Aus Erfahrung weiß ich (angeeignet als Knirps mit entzündeten Ohren), wenn einer vom medizinischen Personal verspricht, es gebe nur einen kleinen Pikser, wird es richtig schlimm wehtun. Diesmal ist es gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe, vielleicht weil ich mit Schmerzmitteln vollgepumpt bin oder weil ich wieder kurz vor einer Ohnmacht stehe. Es fühlt sich an, als würde mir jemand mit einem kurzen, scharfen Gegenstand hoch oben rechts auf die Brust schlagen. Dann gibt es ein alarmierendes Pfeifen in der Brust, als wäre ich leckgeschlagen. Bin ich wahrscheinlich sogar. Einen Augenblick später wird das gewohnte sanfte Ein- und Ausatmen, das mich mein Leben lang begleitet hat (ohne dass ich mir dessen bewusst gewesen wäre, Gott sei Dank), von einem unangenehmen Schlupp-schlupp-schlupp abgelöst. Die eingeatmete Luft ist sehr kalt, aber immerhin ist es Luft, es ist Luft , und ich atme sie ein. Ich will nicht sterben. Ich liebe meine Frau, meine Kinder, meine nachmittäglichen Spaziergänge am See. Und ich liebe es zu schreiben; zu Hause auf dem Schreibtisch wartet ein Buch über das Schreiben, halb fertig. Ich will nicht sterben, und als ich im
Weitere Kostenlose Bücher