Das Leben und das Schreiben
Hubschrauber liege und draußen den hellblauen Sommerhimmel sehe, wird mir klar, dass ich auf der Schwelle des Todes liege. Ziemlich bald werde ich entweder nach vorn gezogen oder zurückgestoßen, doch das liegt nicht in meiner Hand. Ich kann nichts anderes tun, als hier liegen, den Himmel anstarren und meinem dünnen, lecken Atem lauschen: Schlupp-schlupp-schlupp .
Zehn Minuten später setzen wir auf der Betonlandeplatte des CMMC auf. Mir kommt es vor, als befänden wir uns auf dem Grund eines Betonbrunnens. Der blaue Himmel verdunkelt sich, und das Wapp-wapp-wapp der Rotorblätter wird verstärkt und zurückgeworfen, als klatschten Riesen in die Hände.
Ich atme immer noch in großen, lecken Zügen, als ich aus dem Hubschrauber gezogen werde. Jemand stößt gegen die Trage, ich schreie auf. »’tschuldigung,’tschuldigung, Stephen, nichts passiert«, sagt jemand. Wenn man schlimm verletzt ist, wird man von allen mit dem Vornamen angesprochen; jeder ist ein Kumpel.
»Sagt Tabby, dass ich sie sehr liebe«, sage ich, als ich hochgehoben und dann ganz schnell eine Art abfallenden Gang heruntergerollt werde. Plötzlich ist mir zum Weinen zumute.
»Das können Sie ihr selbst sagen«, antwortet der Jemand. Es geht durch eine Tür; über mir fliegen Klimaanlagen und Lichter hinweg. Über Lautsprecher werden Namen ausgerufen. Irgendwie benebelt kommt mir in den Sinn, dass ich noch vor einer Stunde spazieren ging und auf einem Feld über dem Lake Kezar ein paar Beeren pflücken wollte. Nicht lang jedoch; schließlich sollte ich um halb sechs zu Hause sein, weil wir alle zusammen ins Kino wollten. Wehrlos – Die Tochter des Generals mit John Travolta. Travolta spielte auch in dem Film, der zu Carrie, meinem ersten Roman, gedreht wurde. Er war der Böse. Das ist schon lange her.
»Wann?«, frage ich. »Wann kann ich ihr das sagen?«
»Bald«, erwidert die Stimme, dann bin ich wieder weg. Diesmal ist es kein Filmriss, sondern ein dickes Stück, das im Erinnerungsfilm fehlt; es gibt ein paar Lichter, flüchtige, verwirrte Eindrücke von Gesichtern, Operationssälen und drohend aufragenden Röntgengeräten; dann Täuschungen und Halluzinationen, hervorgerufen durch Morphine und Dilaudid, was mir verabreicht wurde; hallende Stimmen und Hände, die näher kommen und meine trockenen Lippen mit Tupfern befeuchten, die nach Minze schmecken. Meistens jedoch ist es dunkel.
3
Bryan Smith’ Einschätzung meiner Verletzungen sollte sich als ziemlich konservativ erweisen. Mein Unterschenkel war mindestens neunmal gebrochen. Der Orthopäde, der mich wieder zusammenflickte, der beeindruckende David Brown, sagte, die Stelle unter meinem rechten Knie hätte ausgesehen wie »Murmeln in einer Socke«. Das Ausmaß der Unterschenkelverletzungen machte zwei tiefe Einschnitte notwendig – man nennt sie mediale und laterale Fasziotomie -, um den vom zerstörten Schienbein hervorgerufenen Druck zu mindern und das Blut wieder in den Unterschenkel fließen zu lassen. Ohne diese Fasziotomien (oder wenn sie zu spät erfolgt wären) hätte das Bein höchstwahrscheinlich amputiert werden müssen. Das rechte Knie war fast direkt in der Mitte gespalten; der Terminus technicus für diese Verletzung lautet »interartikuläre Trümmerfraktur der Tibia«. Des Weiteren erlitt ich eine Acetabulumfraktur an der rechten Hüfte (will sagen: eine schlimme Deformation der Hüftpfanne) sowie eine offene intertrochantäre Oberschenkelfraktur in der gleichen Gegend. Die Wirbelsäule war an acht Stellen angebrochen. Ich hatte vier gebrochene Rippen. Mein rechtes Schlüsselbein war ganz geblieben, doch die Haut darüber war abgerieben. Die Wunde am Kopf wurde mit zwanzig oder dreißig Stichen genäht.
Tja, ich würde sagen, im Ganzen hat Bryan Smith etwas konservativ geschätzt.
4
Mr. Smith’ Fahrverhalten in diesem Fall wurde schließlich von einer Anklagejury untersucht, die in zwei Punkten ein Strafverfahren gegen ihn eröffnete: wegen Gefährdung von Verkehrsteilnehmern (ziemlich ernst) und wegen schwerer Körperverletzung (sehr ernst, so etwas bedeutet Knast). Nach sorgfältiger Prüfung genehmigte der in meiner kleinen Ecke der Welt für solche Fälle verantwortliche Staatsanwalt, dass sich Smith für den geringeren Anklagepunkt der Gefährdung von Verkehrsteilnehmern schuldig erklären konnte. Er wurde zu sechs Monaten Gefängnis (auf Bewährung) und zu einem Jahr Führerscheinentzug verurteilt. Unter Auflage einer Bewährungsfrist von einem
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