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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Theaterstück Unsere kleine Stadt von Thornton Wilder, Anm. d. Red.).
    »Sitzt du gerade?«, fragte Bill.
    »Nein«, sagte ich. Unser Telefon hing in der Küche an der Wand. Ich stand in der Tür zwischen Küche und Wohnzimmer. »Muss ich?«
    »Vielleicht besser«, antwortete er. »Die Taschenbuchrechte für Carrie sind für vierhunderttausend Dollar an Signet gegangen.«
    Als ich noch klein war, hatte Daddy Guy einmal zu meiner Mutter gesagt: »Ruth, warum bringst du das Kind nicht zum Schweigen? Wenn Stephen den Mund aufmacht, fallen alle seine Eingeweide heraus.« Es stimmte damals und stimmt mein ganzes Leben lang, aber an jenem Muttertag im Mai 1973 war ich vollkommen sprachlos. Ich stand da in der Tür, warf denselben Schatten wie immer, brachte jedoch kein einziges Wort mehr heraus. Bill fragte, ob ich noch da sei, und lachte dabei. Er wusste, dass ich noch da war.
    Ich hatte mich verhört. Musste mich verhört haben. Dieser Gedanke ließ mich schließlich meine Stimme wiederfinden. »Hast du gesagt, für vierzigtausend Dollar?«
    »Vier hunderttausend Dollar«, sagte er. »Nach dem Gesetz der Straße« – damit meinte er den Vertrag, den ich unterzeichnet hatte – »gehören zweihundert Riesen davon dir. Glückwunsch, Steve.«
    Ich stand noch immer in der Tür, blickte durch das Wohnzimmer bis zu unserem Schlafzimmer und Joes Kinderbett. Diese Mietwohnung in der Sanford Street kostete neunzig Dollar Miete im Monat, und dieser Mann, den ich nur einmal persönlich getroffen hatte, sagte mir, ich hätte gerade in der Lotterie gewonnen. Meine Knie wurden weich. Ich fiel nicht um, sondern sackte vielmehr zusammen, bis ich auf der Türschwelle saß.
    »Bist du dir sicher?«, fragte ich Bill.
    Er bejahte. Ich bat ihn, die Zahl noch einmal ganz langsam und deutlich zu wiederholen, damit ich sichergehen konnte, mich nicht verhört zu haben. Er sagte, es sei eine Vier, gefolgt von fünf Nullen. »Dann ein Komma und noch mal zwei Nullen«, fügte er hinzu.
    Wir unterhielten uns noch eine halbe Stunde, doch ich kann mich an kein einziges Wort mehr erinnern. Nach dem Gespräch versuchte ich, Tabby bei ihrer Mutter zu erreichen. Ihre jüngste Schwester Marcella sagte mir, Tab sei schon weg. Ich tigerte in Strümpfen durch die Wohnung, wollte mit der guten Neuigkeit herausplatzen, doch niemand war da, der mich hörte. Ich zitterte am ganzen Leibe. Schließlich zog ich mir Schuhe an und ging in die Stadt. Der einzige offene Laden auf der Main Street in Bangor war La Verdiere’s Drug. Plötzlich meinte ich, Tabby zum Muttertag etwas ganz Ausgefallenes und Verrücktes kaufen zu müssen. Ich versuchte es, aber hier ist eine der wahren Tatsachen des Lebens: Im La Verdiere’s gab es nichts Ausgefallenes und Verrücktes zu kaufen. Ich tat mein Bestes. Ich kaufte ihr einen Föhn.
    Als ich nach Hause kam, war sie in der Küche, packte die Taschen mit den Kindersachen aus und sang zu einer Musik im Radio. Ich schenkte ihr den Föhn. Sie betrachtete ihn, als hätte sie noch nie einen gesehen. »Wofür ist der denn?«, fragte sie.
    Ich fasste sie an den Schultern. Ich erzählte ihr vom Verkauf der Taschenbuchrechte. Sie schien es nicht zu verstehen. Ich erzählte es noch einmal. Tabby blickte über meine Schultern in unsere beschissene Vierzimmerwohnung, so wie ich es auch getan hatte, und begann zu weinen.

32
     
    1966 war ich zum ersten Mal betrunken. Das war auf der Abschlussfahrt nach Washington. Wir fuhren mit dem Bus, ungefähr vierzig Schüler und drei Aufpasser (einer davon tatsächlich doch die Alte Billardkugel), und verbrachten die erste Nacht in New York. Dort durfte man damals ab achtzehn Jahren Alkohol kaufen und konsumieren. Dank meiner kaputten Ohren und beschissenen Mandeln war ich schon fast neunzehn. Alt genug also.
    Die unternehmungslustigeren unter uns Jungen fanden ein Spirituosengeschäft um die Ecke des Hotels. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass mein Taschengeld ganz und gar kein Vermögen darstellte, ließ ich den Blick über die Regale schweifen. Es gab zu viel – zu viele Flaschen, zu viele Marken, zu viele Preise über zehn Dollar. Schließlich gab ich auf und fragte den Mann hinter der Theke (zweifellos derselbe kahlköpfige, gelangweilt aussehende Kerl im grauen Mantel, der seit Anbeginn des Handels Alkoholneulingen ihre erste Flasche verkauft), was am billigsten sei. Ohne ein Wort stellte er eine Flasche Old Log Cabin Whiskey auf die Winston-Matte neben der Kasse. Auf dem Preisschild stand $ 1,95.

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