Das Leben und das Schreiben
großen-Symbol. Das Symbol bedeutet, die Seite muss bearbeitet und/oder gekürzt werden, und die Anmerkung dazu kann ich in den Notizen nachschlagen, falls ich mich nicht mehr genau erinnere.
Ich liebe diese Phase des Schreibens (na ja, eigentlich liebe ich alle Phasen, aber diese ist ganz besonders nett), weil ich mein eigenes Buch neu entdecke und es mir meistens auch gefällt. Das ändert sich. Wenn das Buch schließlich im Druck ist, habe ich es ein Dutzend Mal und öfter durchgearbeitet, kann ganze Absätze auswendig zitieren und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass das verfluchte, stinkende, alte Ding endlich verschwindet. Aber das kommt erst später; das erste Lesen macht normalerweise Spaß.
Bei diesem Arbeitsgang konzentriere ich mich in erster Linie auf Handlungsablauf und Belange des Werkzeugkastens: Pronomen mit unklarem Bezug werden rausgeworfen (ich hasse Pronomen, misstraue ihnen, jedes ist so schmierig wie diese windigen Winkeladvokaten, die sich auf Schadensersatzansprüche spezialisiert haben). Wo notwendig, werden klärende Zusätze eingefügt, und natürlich werden alle Adverbien gestrichen, von denen ich mich trennen kann (niemals alle, niemals genug).
Im Hinterkopf stelle ich mir währenddessen die »Großen Fragen«. Die größte lautet: Ist diese Geschichte schlüssig? Wenn ja, wodurch wird aus der Kohärenz eine Melodie? Welche Elemente tauchen immer wieder auf? Greifen sie ineinander und bilden eine Thematik? In anderen Worten, ich frage mich: Worum geht’s hier eigentlich, Stevie? Was kann ich tun, um die verborgenen Anliegen stärker hervorzuheben? Was ich mir am meisten wünsche, ist Resonanz; das Buch soll ein wenig in den Gedanken (und im Herzen) des treuen Lesers nachklingen, wenn er es wieder geschlossen und zurück ins Regal gestellt hat. Das will ich erreichen, ohne dem Leser eine Botschaft einzutrichtern oder mich dafür verkaufen zu müssen. Nehmen Sie diese ganzen Botschaften und die Moral und stecken Sie sie dahin, wo die Sonne niemals hinscheint, klar? Ich will Resonanz. Darum halte ich vor allem nach der Aussage meines Textes Ausschau, weil ich in der zweiten Fassung möglicherweise Szenen und Vorkommnisse hinzufügen möchte, die dieses Anliegen unterstreichen. Zusätzlich tilge ich alles, was in andere Richtungen führt … und davon gibt es immer eine Menge, besonders am Anfang, da ich dort zum Abschweifen neige. Dieser ganze Müll muss weg, wenn ich eine einheitliche Wirkung erzielen will. Wenn ich mit dem Lesen fertig bin und meine kleinen Korinthenkacker-Anmerkungen gemacht habe, ist es Zeit, die Tür zu öffnen und das Geschaffene vier oder fünf engen Freunden zu zeigen, die sich bereit erklärt haben, es zu lesen.
Jemand hat einmal geschrieben (und mir fällt ums Verrecken nicht mehr ein, wer das war), dass Romane in Wirklichkeit Briefe an einen bestimmten Menschen sind. Das glaube ich auch. Ich stelle mir vor, dass jeder Autor einen idealen Leser hat und sich beim Verfassen des Textes an verschiedenen Punkten immer wieder fragt, »Was er wohl denkt, wenn er das hier liest?« Für mich ist dieser erste Leser meine Frau Tabitha.
Sie war immer eine besonders wohlmeinende und unterstützende erste Leserin. Ihre positive Reaktion auf schwierige Bücher wie Sara (mein erster Roman für einen neuen Verlag nach zwanzig guten Jahren bei Viking Press, die durch einen dummen Zank um Geld ein Ende fanden) und relativ umstrittene Romane wie Das Spiel waren mir unglaublich wichtig. Aber wenn sie etwas entdeckt, das ihrer Meinung nach falsch ist, ist sie unnachgiebig. In so einem Fall teilt sie mir das laut und deutlich mit.
In ihrer Rolle als Kritikerin und erster Leserin erinnert mich Tabby oft an eine Geschichte, die ich über Alfred Hitchcocks Frau Alma Reville las. Ms. Reville war für Hitch so etwas wie die erste Leserin, eine scharfsichtige Kritikerin, die sich vom Aufstieg des Meisters der Spannung zu einem der weltweit bedeutendsten Regisseure nicht im Geringsten beeindrucken ließ. Sein Glück. Hitch sagte, er wolle fliegen, Alma sagte: »Erst isst du deine Eier.«
Kurz, nachdem die Dreharbeiten zu Psycho abgeschlossen waren, führte Hitchcock den Thriller ein paar Freunden vor. Sie waren begeistert und erklärten ihn zu einem Meisterwerk der Spannung. Alma schwieg, bis alle ihre Meinung kundgetan hatten, dann sagte sie bestimmt: »So kannst du den Film nicht rausbringen.«
Alle schwiegen wie vom Blitz getroffen, nur Hitchcock selbst erkundigte sich nach dem
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