Das Leben und das Schreiben
geschlossener Tür den Text vom Kopf direkt auf das Blatt herunterlade, tippe ich so schnell es geht, doch ohne hektisch zu werden. Prosa schreiben, insbesondere längere Werke, kann eine komplizierte, einsame Angelegenheit sein, fast als überquere man den Atlantik in einer Badewanne. Sie lässt viel Raum für Selbstzweifel. Nur wenn ich zügig vorankomme, die Geschichte genau so niederlege, wie sie in meinem Kopf abläuft, und lediglich dann zurückblättere, wenn ich die Namen der Figuren oder wichtige Elemente ihrer Vergangenheit überprüfen muss, gelingt es mir meiner Erfahrung nach, die anfängliche Begeisterung zu erhalten und dem allzeit lauernden Selbstzweifel ein Schnippchen zu schlagen.
Diese erste Fassung – die nackte Geschichte – sollten Sie ganz allein ohne Hilfe (oder Einmischung) von anderen verfassen. Früher oder später werden Sie vielleicht in Versuchung geraten, das Geschaffene einem engen Freund (meistens denkt man zuerst an den Partner, mit dem man das Bett teilt) zu zeigen, weil Sie entweder stolz darauf oder sich nicht sicher sind. Ich rate Ihnen, diesem Drang zu widerstehen. Halten Sie die Spannung, und mindern Sie diese nicht, indem Sie das Geschriebene Zweifeln, Lob oder gar wohlgemeinten Fragen von Außenstehenden aussetzen. Lassen Sie sich stattdessen von der Hoffnung auf Erfolg (und der Angst vor einem Reinfall) anspornen, so schwierig das auch sein kann. Sie haben immer noch genug Zeit, das Geschriebene vorzuzeigen, wenn Sie fertig sind … aber selbst dann, finde ich, sollten Sie vorsichtig sein und sich Raum zum Nachdenken nehmen, solange die Geschichte noch wie ein Feld von frisch gefallenem Schnee ist, auf dem nur Ihre eigenen Spuren zu sehen sind.
Das Tolle am Schreiben bei geschlossener Tür ist, dass man sich gezwungen sieht, sich stark auf die Geschichte zu konzentrieren und praktisch alles andere ausblendet. Keiner kann fragen: »Was wolltest du mit den Worten von Garfield auf dem Sterbebett ausdrücken?« oder »Was hat das grüne Kleid zu bedeuten?« Vielleicht wollten Sie mit Garfields Worten auf dem Sterbebett überhaupt nichts sagen, und vielleicht trägt Maura nur deshalb Grün, weil sie eben ein grünes Kleid anhatte, als sie vor Ihrem inneren Auge auftauchte. Andererseits bedeuten diese Sachen möglicherweise schon etwas (oder werden bedeutsam, sobald Sie die Möglichkeit haben, den Wald zu betrachten anstatt der einzelnen Bäume). So oder so ist die erste Fassung der falsche Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.
Noch etwas: Wenn niemand zu Ihnen sagt: »O Sam (oder Amy)! Das ist ja wunderschön !«, laufen Sie auch nicht Gefahr, nachzulassen oder sich auf das Falsche zu konzentrieren, zum Beispiel darauf, wie wunderschön Sie schreiben können, anstatt die verdammte Geschichte zu erzählen .
Sagen wir nun, Sie haben die erste Fassung beendet. Glückwunsch! Gut gemacht! Gönnen Sie sich ein Gläschen Schampus, bestellen Sie eine Pizza, tun Sie, was Sie sonst auch tun, wenn es etwas zu feiern gibt. Wenn jemand ungeduldig darauf gewartet hat, den Roman zu lesen, zum Beispiel Ihr Partner, der jeden Tag von neun bis siebzehn Uhr gearbeitet und die Rechnungen mitbezahlt hat, während Sie Ihren Träumen hinterherjagten, dann wird es jetzt Zeit, die Karten aufzudecken … aber nur, wenn der oder die ersten Leser schwören, sich erst dann mit Ihnen über das Buch zu unterhalten, wenn Sie bereit sind, mit ihnen darüber zu reden.
Das klingt eventuell ein bisschen selbstherrlich, ist es aber nicht. Sie haben sehr viel gearbeitet und brauchen jetzt gewisse Zeit zum Ausruhen – wie viel, das hängt von jedem Einzelnen ab. Ihr Denken und Ihre Fantasie, miteinander verwandt, aber nicht identisch, müssen sich regenerieren, wenigstens in Bezug auf dieses gerade abgeschlossene Werk. Ich rate Ihnen, ein paar Tage Urlaub zu machen: Gehen Sie Angeln oder auf Kajaktour, machen Sie ein Puzzle, und setzen Sie sich dann an ein gänzlich neues Projekt. Vorzugsweise an etwas Kürzeres, das möglichst eine völlig neue Richtung und ein anderes Tempo einschlägt als ihr frisch fertiggestelltes Buch. (Einige ziemlich gute Novellen, darunter »Die Leiche« [Originaltitel: »The Body]) und »Der Musterschüler« [Originaltitel: »Apt Pupil«], habe ich zwischen den verschiedenen Fassungen längerer Bücher wie Dead Zone – Das Attentat und Stark – The Dark Half verfasst.)
Wie lange Sie Ihr Buch ruhen lassen (in etwa wie Brotteig zwischen dem Kneten), ist ganz allein Ihre Sache, aber
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