Das Leben und das Schreiben
was wir über ihn wissen, das Romanende kommt abrupt und scheint willkürlich), dann haben Sie wirklich eines und sollten etwas dagegen tun.
Viele Schriftsteller wehren sich dagegen. Für sie kommt es der Prostitution gleich, ihre Geschichte nach den Vorlieben und Abneigungen der Leserschaft umzuschreiben. Wenn das auch Ihre Meinung ist, werde ich nicht versuchen, Sie umzustimmen. Sie sparen zudem eine Menge Geld im Copyshop, weil Sie Ihre Geschichte überhaupt niemandem zeigen müssen. Aber wenn Sie wirklich so denken, (sagte er rotzig), wieso wollen Sie dann überhaupt veröffentlichen? Schreiben Sie doch einfach Ihr Buch fertig, und schließen Sie es danach in einem Safe ein, so wie es J. D. Salinger in seinen späteren Jahren getan haben soll.
Ja, nachvollziehen kann ich diese Weigerung, alles nach dem Leser zu richten, schon, zumindest ein wenig. Im Filmgeschäft, das ich ein wenig aus eigener Anschauung kenne, nennt man Vorpremieren »Testvorführungen«. Sie sind in dieser Industrie inzwischen gang und gäbe und treiben die meisten Regisseure in den Wahnsinn. Vielleicht sollten sie das auch. Ein Studio blecht zwischen fünfzehn und hundert Millionen Dollar für die Produktion eines Films und bittet dann den Regisseur, sein Werk basierend auf den Meinungen eines Multiplex-Publikums aus Santa Barbara nachzubearbeiten, das sich aus Friseusen, Politessen, Schuhverkäufern und arbeitslosen Pizzaboten zusammensetzt. Und was ist das Schlimmste und Ärgerlichste an der ganzen Sache? Wenn man die Zusammensetzung des Publikums richtig wählt, klappen solche Testvorführungen offenbar!
Es wäre furchtbar, wenn Romane nach Meinung eines Testpublikums überarbeitet würden – viele gute Bücher würden so nie das Licht der Welt erblicken -, aber davon rede ich ja nicht. Mensch, hier geht es um ein halbes Dutzend Ihnen bekannter Leute, von denen Sie etwas halten. Wenn Sie die Richtigen fragen (und die einverstanden sind, Ihr Buch zu lesen), können sie Ihnen von großer Hilfe sein.
Sind alle Meinungen gleich viel wert? Bei mir nicht. Letztlich ist Tabbys Meinung für mich ausschlaggebend, weil ich für sie schreibe, weil ich sie beeindrucken will. Wenn Sie außer für sich selbst hauptsächlich für einen besonderen Menschen schreiben, dann kann ich Ihnen nur raten, ganz genau auf die Meinung dieser Person zu hören (ich kenne einen, der behauptet, er schreibe hauptsächlich für jemanden, der seit fünfzehn Jahren tot ist, aber auf die meisten von uns trifft dieser Fall nicht zu). Und wenn Ihnen die Vorschläge des Testlesers einleuchten, dann beherzigen Sie sie. Sie können nicht auf der ganzen Welt Meinungen zu Ihrer Geschichte einholen, aber Sie können zumindest die Menschen fragen, die Ihnen am wichtigsten sind. Und das sollten Sie auch.
Nennen wir diesen Menschen, für den Sie schreiben, den idealen Leser. Er oder sie wird immer bei Ihnen im Arbeitszimmer sein: leibhaftig, wenn Sie die Tür öffnen und die Welt hereinlassen, um Ihr Fantasiegespinst zu bestaunen, und im Geiste in den manchmal mühsamen und oft erfreulichen Tagen, wenn Sie bei verschlossener Tür die Rohfassung erstellen. Und wissen Sie was? Sie werden merken, dass Sie die Geschichte bereits an Ihren idealen Leser anpassen, bevor er auch nur eine Zeile gelesen hat. I. L. wird Ihnen helfen, ein wenig aus Ihrer Haut herauszuschlüpfen und das im Werden begriffene Werk schon beim Schreiben mit den Augen des Publikums zu sehen. Vielleicht ist das der beste Weg, zu gewährleisten, dass Sie sich an die Geschichte halten. Es ist eine Methode, vor Publikum zu spielen, obwohl gar kein Publikum da ist und Sie ganz allein das Sagen haben.
Wenn ich eine Szene schreibe, die mir lustig erscheint (wie der Wettbewerb im Kuchenessen in »Die Leiche« oder die Exekutionsprobe in The Green Mile ), stelle ich mir vor, dass sie meinen I. L. ebenfalls erheitert. Ich finde es herrlich, wenn Tabby nicht mehr aufhören kann zu lachen; dann hält sie die Hände hoch, als wollte sie sagen, ich ergebe mich, und dicke Tränen kullern ihr die Wangen herunter. Das liebe ich, ist halt so, ich bin absolut verrückt danach, und wenn ich eine Situation finde, die zu einem von Tabbys Lachanfällen führen könnte, dann drücke ich richtig auf die Tube. Während ich eine solche Szene schreibe (geschlossene Tür), habe ich im Hinterkopf, dass ich sie zum Lachen oder Weinen bringen will. Beim Überarbeiten (offene Tür) steht diese Frage ( Ist das schon lustig genug? Gruselig genug?
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