Das Leben Zimmer 18 und du
so willkommene Zufriedenheit, die mich auf meinem täglichen Weg durch die Krankenhausflure, Aufenthaltsräume und in mein Zimmer begleitet. Zufriedenheit über die Tatsache, schlafen zu können. Zufriedenheit über das Versprechen, bis auf weiteres in der Gruppe A bleiben zu dürfen. Hier bei Hanna. Hier in meinem Bett, von dem aus ich in teils gespielter, teils echter Hoffnung meine Botschaften in die Welt sende. Über das Internet. Dort, wo alles irgendwie noch immer wie vorher ist.
Es geht mir gut. Zumindest so gut, wie es einem zu diesem Zeitpunkt mit dieser Diagnose gehen kann – und vor allem: mit diesen Tabletten, die zu meinem treuen Begleiter geworden sind.
Mit diesen zufriedenstellenden Gedanken im Hinterkopf schleiche ich mich durch die Tage. Mehr will ich ja gar nicht. Ruhe und den Glauben daran, dass alles gut wird. Dass ich mich selbst wieder in den Griff bekomme – auch dann, wenn ich eines Tages keine Tabletten mehr bekomme.
Ein zu hohes Ziel?
Nein. Irgendwie werde ich es schon schaffen, da bin ich sicher.
Es ist ein Morgen, wie es im Krankenhaus viele gibt. Frühstück, Tabletten, Blick auf den Therapieplan.
Die erste Position auf dem Plan: Ergotherapie.
Wie eine Armee kopfloser Soldaten marschieren die anderen Patienten und ich durch die von den Schwestern geöffnete Sperr-Tür, über den breiten Stationsflur in Richtung erstes Obergeschoss. Als ich neben meiner Mitinsassin Carmen die Mitte der Treppe erreiche, wandert mein Blick nach unten, wo sich eine Sekunde zuvor auf der rechten Seite die Tür zum anderen Krankenhausflügel geöffnet hat. Zwei Männer überqueren den Flur, um zur anderen Station zu gelangen. Einer Station, der ich bis zu dem Zeitpunkt keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt habe. Aber jetzt, hier in diesem Moment, ist es nicht nur die Station, die meine Aufmerksamkeit bekommt.
Bastian. Er ist es wirklich.
In einem hellblauen Sweatshirt und einem auffällig lässigen Gang, der nicht so recht zu seinen tieftraurigen Augen passen will, prägt er sich in meinen Verstand wie Initialen in einen Ring.
Er ist hier. Noch immer. Er wurde nicht entlassen.
Mein Herz beginnt zu klopfen, während ich von der Treppe aus zu ihm herunterschaue.
Hat er bei unserer ersten Begegnung auch schon so gut ausgesehen?
Während er sich mit dem anderen Mann unterhält, wandert sein Blick unweigerlich in meine Richtung. Für einen kurzen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Unsere Blicke halten einander fest. Nur kurz und scheinbar beiläufig. Trotzdem spüre ich, dass es mehr ist. Nicht nur für mich. Auch er scheint mich ganz bewusst wahrzunehmen. Oder bilde ich es mir nur ein?
Nein. Irgendetwas schwebt in der Luft, das spüre ich ganz deutlich.
Langsam verschwindet er wieder aus dem Blickfeld, während ich das Obergeschoss erreiche.
Mein Herzklopfen schiebt augenblicklich ein Lächeln auf meine Lippen. Innerhalb weniger Sekunden bekommt mein Krankenhausaufenthalt einen neuen Sinn: Die Suche nach der Chance, ihn wiederzusehen. Denn so klein die Chance auch ist, sie ist die Suche wert, das wird mir in diesem Moment klar.
„Alles okay?“, fragt Carmen, die mich irritiert von der Seite mustert.
Ich nicke.
„Ja“, antworte ich grinsend. „Alles okay.“
*
Statusmeldung, 7. März 2013
Liebe FB-Freunde,
nach einigen Tagen des Überlegens habe ich mich dazu entschlossen, einen sehr persönlichen Teil meines Lebens mit euch zu teilen, um verständlich zu machen, warum ich mich demnächst von einigen Dingen verabschieden werde: Vorweg: Der Grund, warum ich derzeit in einer Klinik bin, ist der, dass ich einen Nervenzusammenbruch und schlimmen Burn-Out hatte. Die Ereignisse, die dazu führten, sowie die gesundheitlichen Resultate gehören jetzt nicht hierher und sollen hier auch keine Rolle spielen, Fakt ist nur, dass diese Entwicklung ihre Ursache in der Tatsache hat, dass ich zwei Schicksalsschläge und eine insgesamt sehr schwere Zeit nie richtig verarbeitet habe und mich stattdessen kopfüber in jede Form der Ablenkung gestürzt habe. Erste Anzeichen gab's schon vor längerer Zeit, schon damals versuchte ich, mich zu schonen - diesmal war es allerdings so schlimm, dass ich mir ärztliche Hilfe holen musste und diese Hilfe auch noch eine Weile brauchen werde. Was dies für meinen Kontakt mit euch hier und im Allgemeinen bedeutet: Ich muss und werde viele Stressfaktoren - auch und gerade die positiven - auf das Minimum herabsenken und versuchen, mich größtenteils nur noch dem
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