Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben Zimmer 18 und du

Das Leben Zimmer 18 und du

Titel: Das Leben Zimmer 18 und du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
Vom Netzwerk:
wie möglich.
    „Welcher Patient?“
    „Na der, der heute auch in der Depressionsrunde war. Der ohne Haare.“
    Der ohne Haare?
    Eine sehr geschickte Formulierung. Aber man scheint sofort zu wissen, wen ich meine.
    „Keine Ahnung“, antwortet Teresa und ihr Tonfall lässt mich für einen Moment vermuten, dass Gespräche beim Essen hier nicht üblich sind. „Zu unserer Gruppe gehört er jedenfalls nicht. Vielleicht ist er schon entlassen worden.“
    Ich schlucke meine Gewürzgurke herunter.
    Entlassen? Jetzt schon?
    Meine Gedanken verlieren das letzte bisschen Farbe. Also doch kein Lichtblick. Kein Austausch mit einem Gleichgesinnten.
    Ich lasse meinen Blick erneut durch die Runde schweifen. Roland, ein redseliger Patient um die sechzig, wirkt alles andere als depressiv. Ganz im Gegensatz zu Jonas, der seit meiner Ankunft im Essenraum kein einziges Wort gesprochen hat.
    Die anderen Patienten sind weiblich. Doch zu keinem von ihnen spüre ich einen Draht. Zumindest gibt sich niemand von ihnen Mühe, mir das Ende eines Drahts hinzuhalten.
    Oder bilde ich mir das nur ein?
    Ich huste. Lauter. Schmerzlicher. Wo ist mein Bett? Wo ist die Nacht? Irgendetwas von beidem brauche ich jetzt. Und zwar dringender als etwas zu essen.

    *

    Die farblose Welt stiehlt sich in schmale Augenschlitze. Es fällt mir schwer, irgendetwas zu sehen oder auszumachen.
    Es ist sieben Uhr. Und wieder geht eine unruhige Nacht zu Ende, in der sich die Zimmertür alle ein bis zwei Stunden geöffnet hat. Die übliche Kontrolle, die mich jedes Mal aus dem ohnehin sehr leichten Schlaf reißt.
    Hinzu kommt eine Erkältung, die mich zusätzlich schwächt. Husten, Schnupfen und ein Gefühl von tausend Stecknadeln in meiner Kehle.
    Irgendwem habe ich gesagt, dass ich nicht an der Morgengymnastik der Gruppe B teilnehmen werde. Nicht in diesem Zustand. Und man versteht es. Auch die Tatsache, dass ich erst mal alle Therapien auslassen werde. In dieser Verfassung bin ich ohnehin nur ansteckend.
    Trotzdem – oder gerade deshalb – wird mir eines immer klarer: Ich muss raus hier! Es geht mir doch schon sehr viel besser, oder? Und zu Hause könnte ich wenigstens zur Ruhe kommen. Zu Hause, wo mir niemand sagt, zu welcher Zeit ich zu essen habe. Zu Hause, wo mich niemand beim Schlafen stört. Zu Hause, wo ich nicht mit anderen Depressiven durch den Raum tanzen muss, nur um dem bedeutungsschweren Titel „Tanztherapie“ gerecht zu werden.
    Die Worte des Arztes bei meiner Einweisung werden erneut in mir wach: „Niemand hält Sie hier gegen Ihren Willen fest, Frau Salchow.“
    Als ich die Ärzte bei der Visite mit meinem Wunsch und der Tatsache konfrontiere, dass es mir doch schon sehr viel besser geht, erklärt man mir, dass man mich nicht entlassen könne, solange ich noch die zusätzlichen Beruhigungstabletten nehme, da die Einnahme nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen darf.
    „Dann nehme ich sie eben nicht mehr“, antworte ich.
    „Diese Tabletten kann man nicht sofort absetzen“, erklärt mir der Arzt mit dem Auskenner-Blick. „Das Absetzen muss schleichend geschehen.“
    „Schleichend?“
    „Wir reduzieren Ihre Dosis, bis Sie nur noch die Antidepressiva nehmen. Die können Sie dann auch zu Hause ohne ärztliche Aufsicht einnehmen.“
    „Das klingt doch prima“, jubele ich.
    Der Arzt mustert mich mit hochgezogener Augenbraue. Ein Blick, für den er sicher irgendein Diplom in seinem Büro hängen hat.
    „Sind Sie sicher, dass Sie die Klinik verlassen wollen?“, fragt er erneut. „Es könnte auch sehr gut sein, dass es Ihnen nur so gut geht, weil die Beruhigungsmittel Ihnen die Angst nehmen. Die Antidepressiva brauchen nämlich in der Regel zwei bis drei Wochen, bis sie anfangen zu wirken und jetzt sind Sie gerade mal acht Tage hier.“
    „Ich bin sicher“, antworte ich ruhig.
    „Also gut.“ Der Arzt klappt meine Akte zu. „Dann werden wir heute Mittag mit dem langsamen Reduzieren beginnen und in spätestens drei Tagen dürfen Sie die Klinik verlassen.“
    „In drei Tagen? Ich möchte aber so schnell wie möglich nach Hause. Können wir die Tabletten nicht sofort absetzen?“
    „Ist das wirklich Ihr Wunsch?“
    „Ja.“
    Und man erfüllt ihn mir.

    *

    Meine Kehle wird enger. Wieder überkommt es mich, das lähmende Gefühl in den Unterarmen. Irgendjemand scheint meine Venen zuzuschnüren.
    Ich starre an die weiße Decke. Wann beginnt die Nacht? Und wann beginnt mein Körper, sich auf die Nacht einzustellen?
    Ich brauche die Tabletten

Weitere Kostenlose Bücher