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Das Leben Zimmer 18 und du

Das Leben Zimmer 18 und du

Titel: Das Leben Zimmer 18 und du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
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nicht. Ich habe sie vorher auch nicht gebraucht.
    Ich versuche, mich an die Zeit zu Hause zu erinnern. An die Zeit vor der ersten Panikattacke. So lange ist es doch noch gar nicht her. Und ich konnte schlafen. Sehr viel schlafen. Warum also jetzt nicht?
    Die Heizung gurgelt. Hanna lacht über irgendetwas.
    Ich schweige und starre noch immer an die Decke.
    Ich brauche die Tabletten nicht. Ich habe sie vorher auch nicht gebraucht.
    Mein Handy brummt. Die SMS einer guten Freundin. Man denkt an mich. Aber es reicht nicht.
    Wie soll ich das nur schaffen? Wie soll ich die Nacht überstehen und wie den nächsten Tag? Die nächste Woche? Mein Leben?
    Ich schwitze. Ich friere.
    Dieser verdammte Husten.
    Ich brauche die Tabletten nicht. Ich habe sie vorher auch nicht gebraucht.
    Mit zitternden Händen greife ich nach meinem Handy. David hat Spätschicht. Es ist kurz nach sechs und er muss bis um acht arbeiten.
    Instinktiv rufe ich meinen Vater an.
    „Bin ich stark genug, um ohne Tabletten einzuschlafen?“
    „Setz dich nicht unter Druck, Nancy. Irgendwann wirst du einschlafen. Und wenn es nicht geht, bleibst du eben in der Klinik und nimmst die Tabletten weiterhin.“
    „Aber ich will hier nicht bleiben.“ Ich weine. „Ich will nach Hause. Ich will meine Ruhe, ich will endlich meine Ruhe.“
    Während ich diese Worte ausspreche, merke ich, dass der Gedanke an zu Hause plötzlich nicht mehr beruhigend ist. Was, wenn es mir zu Hause genauso schlecht geht? Was, wenn mich dort wieder die Panikattacken überkommen?
    „Kannst du heute noch herkommen, Papi?“
    „Natürlich kann ich kommen.“
    „Kommst du dann bitte nachher gleich?“
    „Ich bin gleich da.“

    Und er hält sein Versprechen. Weinend stürze ich mich in seine Arme. Ein Bild, das so gar nichts mit mir zu tun hat. Ein Häufchen Elend, das eher an ein sechsjähriges Mädchen erinnert als an eine erwachsene Frau. Tränenüberströmt liege ich auf dem Bett, während er mich mit behutsamen Worten zu trösten versucht.
    „Glaub mir, Nancy, wenn das alles vorbei ist, wird es dir besser gehen als vor der Krankheit“, erklärt er mir. Immer und immer wieder.
    Und ich glaube ihm. Tief in meinem Inneren glaube ich ihm wirklich. Nur in diesem Moment bin ich einfach nicht stark genug, um mich daran zu erinnern.
    Ich brauche die Tabletten nicht. Ich habe sie vorher auch nicht gebraucht.
    Oder?
    Die Heizung gurgelt. Hanna lacht.

    *

    Es ist kurz nach sieben. Frühstückszeit. Aber nicht für mich. Alles, was ich jetzt will, ist ein Gespräch mit den Schwestern.
    Mit schweren Beinen und Brummschädel zittere ich mich zum Schwesternstützpunkt.
    „Bitte geben Sie mir die Beruhigungstabletten“, flehe ich. „Es ist mir egal, wie lange ich noch in der Klinik bleiben muss, nur bitte geben Sie mir die Tabletten.“
    „Natürlich bekommen Sie eine Tablette, Frau Salchow.“ Die Schwester mit den langen Beinen und der extravaganten Brille nimmt meine Hand. „Die Ärzte haben die Tabletten nach wie vor als Bedarfsposition in Ihrer Kartei stehen. Wir können Ihnen also sofort eine geben.“
    „Und bitte lassen Sie mich in der Gruppe A“, fahre ich mit zitternder Stimme fort. „Ich bin noch nicht bereit für die Therapien und all die neuen Menschen.“
    Man scheint überrascht über die rapide Verschlechterung meines Zustands, immerhin hat man mich erst aufgrund meiner stetigen Verbesserung in die neue Gruppe eingeteilt. Umso einschneidender scheint nun der Eindruck zu sein, den ich hinterlasse.
    „Machen Sie sich keine Sorgen“, beruhigt mich die Schwester. „Wir tun hier nichts, was den Zustand unserer Patienten verschlechtert. Natürlich können Sie erst mal in dieser Gruppe bleiben. Wir reden mit den Ärzten und nachher in der Visite können Sie auch noch mal alles in Ruhe mit der Ärztin besprechen.“
    Die Tablette zergeht wie ein vertrautes Geheimnis auf meiner Zunge. Endlich. Endlich wird alles gut. Zumindest in dieser kleinen Welt.

    Kapitel 4 – Alles gut

    Ich komme mir vor wie eine Autistin, die jede neue Situation überfordert, denn kaum hat man mir eingestanden, in der Gruppe A bleiben zu dürfen, überkommt mich eine geradezu befriedigende Routine.
    Das Essen schmeckt. Das Schlafen klappt. Die Sonne scheint.
    Alle Zeichen stehen auf Fortschritt. Mit Abklingen der Erkältung gelingt es mir sogar, an den Therapien teilzunehmen.
    Es ist keine Freude im eigentlichen Sinne, auch keine Euphorie oder beflügelnde Hoffnung. Vielmehr ist es die nüchterne und doch

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