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Das Leben Zimmer 18 und du

Das Leben Zimmer 18 und du

Titel: Das Leben Zimmer 18 und du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
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ich habe meine Arbeit, die Liebe zum Schreiben, meine Tiere, ein schönes Zuhause, in dem ich mich wohl fühle.
    Und doch ist es in erster Linie mein Zuhause, das mir die meiste Angst einjagt. Ich versuche, es mir damit zu erklären, dass ich meine erste Panikattacke zu Hause bekommen habe, aber wird diese Erklärung auf Dauer genügen, um der Furcht die Macht zu nehmen?
    Ich sitze auf einem der Lederstühle im Eingangsbereich des Krankenhauses, direkt neben dem Kaffee- und Süßigkeiten-Automaten, und lese Biancas Nachricht auf meinem Handy, als diese Gedanken erneut Besitz von mir ergreifen. Werde ich stark genug sein, in einigen Wochen nach Hause zurückzukehren? Und falls ja, wer wird sich dort um mich kümmern, wenn ich bis dahin keinen geeigneten Therapeuten gefunden habe? Werde ich allein stark genug sein, meinen Alltag zu meistern, der sich mit jedem Tag in dieser isolierten Welt weiter und weiter von mir entfernt?
    Mein Blick wandert zum Automaten.
    Schokolade?
    Nein. Nicht jetzt.
    Mein Handy piept.
    Eine neue Nachricht von Bianca gibt mir Hoffnung: Es ist ihr tatsächlich gelungen, ihren Einfluss geltend zu machen und einen Termin bei ihrem Therapeuten zu vereinbaren. Doch genau diese Hoffnung ist es auch, die mich vor das nächste Problem stellt: Der vorgeschlagene Termin ist bereits am 11. März, in drei Tagen also. Solange ich aber in der Klinik bin und auch noch die Tabletten nehme, die nicht ohne weiteres – und das habe ich ja mittlerweile auf die harte Tour gelernt – abgesetzt werden dürfen, kann ich auch nicht nach Rostock fahren, um den Termin wahrzunehmen.
    So zeitig einen Termin zu bekommen ist ohnehin mehr als ein Glücksfall, kann ich es mir da überhaupt erlauben, das Angebot abzulehnen? Gleichzeitig weiß ich, dass ich noch nicht stark genug bin, um entlassen zu werden und eine Zwischendurch-Entlassung zu diesem Zeitpunkt unter ebendiesem Medikamenteneinfluss noch nicht möglich ist.
    Gerade als ich mir Biancas Nachricht erneut durchlese und darüber nachdenke, was ich auf ihr Angebot entgegnen kann, öffnet sich links von mir die Tür zur Abhängigkeitsstation. Instinktiv schaue ich auf und noch bevor sich eine leichte Hoffnung in mir bemerkbar machen kann, erfüllt sie sich auch schon: Bastian.
    Gemeinsam mit einem anderen Patienten überquert er den Flur in Richtung Seitenflügel, der zur Cafeteria führt. Um zur Tür zu gelangen, muss er an mir vorbei.
    Ein Schritt.
    Zwei Schritte.
    Unweigerlich treffen sich unsere Blicke.
    Er scheint mir die Überforderung, die Biancas Nachricht bedeutet, anzusehen. Eine Falte schiebt sich zwischen seine markanten Augenbrauen.
    Unweigerlich erwidere ich seinen Blick. Vielleicht wirke ich hilflos, vielleicht mitleiderregend. Der Ausdruck in seinen Augen gibt mir zu verstehen, dass er all diese und noch mehr Emotionen in mir erkennen kann.
    Oder ist es wieder nur Einbildung? Wunschdenken?
    Er scheint etwas sagen zu wollen, doch er schweigt.
    Die Besorgnis in seinem Blick bleibt jedoch und trifft mich bis ins Mark. Da sind sie wieder, die eisblauen Augen, die in mir zu lesen scheinen.
    Eins.
    Zwei.
    Dann ist er vorbei, der Moment. Ich unterdrücke das Verlangen, ihm nachzuschauen. Nur aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich die Tür zum Seitenflügel öffnet und er gemeinsam mit dem anderen Mann dort hinter verschwindet.
    Endlich erlaube ich mir aufzuschauen, aber alles, was bleibt, ist die Erinnerung an eine Begegnung, die so schnell vorübergegangen ist, dass ich mich frage, ob sie überhaupt stattgefunden hat.
    Ich senke den Blick auf mein Handy.
    Bianca. Der Therapeut. Die Medikamente.
    Der Kreislauf zielloser Gedanken beginnt erneut und mit ihnen das Talent des quälenden Grübelns. Das Grübeln, das wir so dringend verlernen müssen, um die Krankheit in den Griff zu bekommen.
    Wie ein blasser Fetzen Licht stehlen sich die Worte der Depressionsrundenleiterin Frau Geiss in meinen Kopf: Erkennen Sie den Unterschied zwischen Nachdenken und Grübeln. Ich selbst war es sogar, die die richtige Antwort gab: Nachdenken führt zu einem Ergebnis, Grübeln nicht. Grübeln bedeutet, den kreisenden Gedanken eine unangemessene Macht zu gewähren. Macht über unsere Seele, die so dringend Ruhe braucht.
    Doch während ich versuche, gegen das Grübeln anzukämpfen, ertappe ich mich bei einer geradezu unfassbaren Erkenntnis: Ich habe längst mit dem Grübeln aufgehört. Hier und jetzt. Und die Antwort ist so simpel: Bastian. Hartnäckig hat sich sein Blick in meinen

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