Das Leben Zimmer 18 und du
und ist schneller aus der Tür, als ich die Datei schließen kann.
Ich werfe einen letzten Blick auf die Zeilen meiner Mutter. Nun aber die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht war es alles nicht ganz so schlimm wie es zuerst klang?
Ich wische eine Träne aus meinem Augenwinkel.
Doch, Mama, das war es.
Kapitel 7 – Ich bin okay
Gedankenverloren steuere ich den Automaten an, während sich das Frühstück mühsam seinen Weg in meinen Magen sucht. Der obligatorische Zitronentee wartet darauf, mir den Morgen zu versüßen, der nach einer schweißtreibenden Nacht etwas Licht vertragen kann.
Wieder haben mich dunkle Träume heimgesucht. Träume von Martin und Horror-Szenarien von Tumoren, die ihm aus dem Kopf wachsen. Und immer wieder Gespräche, von denen ich nicht mehr weiß, ob sie Träume oder echte Erinnerungen sind. Gespräche, in denen er mir von seinen Gedanken über den Tod erzählt.
Ich schiebe den Euro in den Schlitz und wähle den Tee aus, während sich die Zeilen meiner Mutter mit den Bildern in meinem Kopf vermischen.
Nein, ich werde das Lesen ihrer Erinnerungen vorerst bleiben lassen. Zumindest für heute. Ein wenig Abstand wird mir gut tun.
Dankbar umklammere ich den Becher und schlendere damit zum Ausgang. Die Automatiktür öffnet sich, als ich zu nah herankomme. Instinktiv trete ich einen Schritt zurück, als sich der kühle Hauch des Winters ins Foyer schleicht. Wie lange er uns wohl noch in Schach halten wird, bevor er dem Frühling endlich den Zugang zu unseren Herzen gewährt?
Ich starre über den Parkplatz hinweg in den neuen Morgen, während ich an meinem Tee nippe. Wie in Zeitlupe wippen die weichen Schneeflocken zu Boden. Für einen Moment fühle ich mich zurückversetzt in den frostigen Februarmorgen, an dem wir Martin zu Grabe getragen haben. Die schwarzgekleidete Menge, die den Sargträgern von der Kirche zum Friedhof folgte, während es langsam zu schneien begann. Glitzernde Schneeflocken, wie sie auch in diesem Augenblick vom Himmel rieseln.
„Und? Hat das mit deinem Therapeuten noch geklappt?“
Ein Tropfen Zitronentee landet auf dem Boden, als ich mich irritiert umdrehe.
„Therapeut?“, frage ich verwirrt.
Bastian.
Eigentlich ist es nicht mal eine Überraschung, ihn hier zu treffen. Und doch ertappe ich mich bei meiner üblichen Nervosität.
„Na, der, den dir deine Freundin besorgt hat“, antwortet er.
Mit einem Kaffeebecher in der Hand kommt er auf mich zu.
„Ach so“, stammele ich. „Nein, das hat leider nicht geklappt. Wie gesagt, dafür müsste ich ausgewiesen werden und das geht jetzt noch nicht.“
Er lächelt. „Aha.“
„Ich bin einfach noch nicht soweit. Eine echte Heulsuse eben.“
„Ach, eine Heulsuse bin ich auch“, antwortet er, während er seine rechte Hand mit natürlicher Lässigkeit in seine Hosentasche schiebt. Eine Lässigkeit, die nicht so recht zu dieser Krankheit passen will.
„Du und Heulsuse?“ Ich lächle vorsichtig.
„Wieso?“ Er lacht leise. „Kannst du dir das nicht vorstellen?“
„Nein, irgendwie nicht. Du wirkst so … ich weiß nicht … gefestigt. Und überhaupt nicht depressiv oder so. Zumindest jetzt nicht mehr.“
„Jetzt nicht mehr?“, fragt er stirnrunzelnd, während er einen Schritt näher kommt.
„Na ja.“ Ich räuspere mich. „Als ich dich in der Depressionsrunde zum ersten Mal gesehen habe, war mein Eindruck noch ein anderer. Da warst du irgendwie trauriger, und mehr neben der Spur, wenn du weißt, was ich meine.“
„Das war auch mein erster Gedanke über dich“, antwortet er.
„Oh je.“ Ich werde rot. „Ich hab doch nur geheult.“
„Deswegen ja.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Kaffee. „Du stehst zu deinen Gefühlen und hast keine Probleme damit, darüber zu reden, warum du hier bist und wie es zu deiner Krankheit kam. Ganz im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern, die nur vor sich hin gemurmelt haben. Ich dachte schon, ich wäre der Einzige hier, der über seine Probleme redet.“
„Ich weiß genau, was du meinst. Den anderen musste man ja jedes Wort regelrecht aus der Nase ziehen.“
„Ich bin 54 Jahre alt“, imitiert er mit verstellter Stimme einen der anderen Patienten, „und ich habe Depressionen. Ich bin 43 und ich habe Depressionen. Ich bin 35 Jahre alt und habe Depressionen.“
„Ja genau.“ Ich lache, nun etwas gelöster. „Sehr aussagekräftige Profile, oder? Da kann ich auf mein Geheule ja fast schon stolz sein, was?“
„Sag ich doch!“
„Ich weiß, dass
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