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Das Leben Zimmer 18 und du

Das Leben Zimmer 18 und du

Titel: Das Leben Zimmer 18 und du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
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schließen. Habe ich die Ängste meiner Mutter damals wirklich abgewiesen? Wollte ich ihr nicht glauben? Oder war ich einfach nur nicht bereit, mich der Angst zu stellen, dass mein eigener Bruder ernsthaft krank war?
    Ich schaue auf. Mein Blick fällt auf Hanna, die schlafend auf ihrem Bett liegt. Vielleicht sollte ich mir auch ein kleines Mittagsschläfchen gönnen, anstatt mich mit diesem Rückblick zu quälen.
    Doch der Drang ist stärker. Denn so schmerzvoll der Rückblick auch ist, seltsamerweise fühle ich mich in diesem Moment nicht nur meiner Mutter, sondern auch meinem Bruder wieder näher.
    Ich atme ein.
    Aus.
    Ein.
    Aus.
    Und lese weiter.

    Mittwoch, der 28.Juli 2010 – der nächste Tag
    Bin auf der Arbeit. Unruhig. Spreche mit meinem Chef, dass mir mein Jüngster überhaupt nicht gefällt und dass ich nachmittags nach der Arbeit mal hinüber fahre zu ihm. Ca. 20 km. Erklärte ihm die Symptome.
    Rufe dann von der Firma aus meinen Sohn an, ob er zu Hause ist und ich kommen könne. Er: „Ja, Mama, das ist gut. Kannst du mich dann zum Neurologen fahren? Irgendwas stimmt nicht mit mir.“
    Das teile ich umgehend meinem Chef mit, der anweist, dass ich sofort zu ihm fahren soll. Unterwegs nehme ich noch Mittagessen aus einem Imbiss mit und suche Martin auf. Mich trifft fast der Schlag, als ich ihn sehe und es zerreißt mir das Herz. Ich schlucke, lasse mir aber nichts anmerken. Rechts kaum Kontrolle mehr über die Hand und über das Bein. Besteck zu halten ist für ihn schwierig. Am liebsten möchte ich ihn füttern, kann aber gerade noch so an mich halten. Als er aufgegessen hat, sage ich in ganz ruhigem Ton:
    „ Martin, jetzt packst du ein paar Sachen zusammen.“
    Er: „Warum?“.
    Ich: „Weil ich dich jetzt in die Notaufnahme fahre!“
    Er: „Ja, ich glaube auch, das ist wohl das Beste!“
    Dort angekommen suche ich mit ihm gemeinsam die Anmeldung auf, da ich Befürchtungen habe, sie könnten ihn – ohne groß untersucht zu haben – wieder nach Hause schicken. Das passiert aber nicht. Sie sind alle sehr fürsorglich. Nach einer Viertelstunde Warten wird er bereits von der Krankenschwester in Empfang genommen. Die Untersuchung dauert dann ziemlich lange. Als sie mich rufen, bin ich erleichtert, ihn mit einem Infusionsanschluss und im Nachthemd auf einem Bett liegen zu sehen. Mit nach Hause hätte ich ihn auf keinen Fall genommen. Hier muss etwas passieren!
    Die Neurologin informiert mich, dass man etwas Konkretes noch nicht sagen könne. Es müsse erst ein MRT gemacht werden, was am nächsten Morgen passieren würde.
    Als ich nach Hause fahre, bin ich etwas erleichtert. Ich weiß, dass er jetzt behandelt wird. Aber innerlich koche ich auch vor Wut, weil seine behandelnde Ärztin vorher nichts unternommen hat. Beruhigungsmittel hatte sie ihm verschrieben! Bei Lähmungen in Arm und Bein und Sprachstörungen. Ist das zu fassen?

    Donnerstag, 29. Juli 2010
    MRT wurde durchgeführt.
    Befund: „Gehirntumore“! Zack!
    Das war für uns alle ein Schlag in die Magengrube. Tumore im Gehirn! Ein größerer, mehrere kleine. Mir pochte das Herz im Hals. Das darf doch nicht wahr sein!
    Nun aber die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht war es alles nicht ganz so schlimm wie es zuerst klang? Auch in diesem Fall gibt es verschiedene Stufen. Bösartige und weniger „schlimme“.

    Freitag, 30. Juli 2010
    Verlegung in die Spezialklinik nach Plau. Eine der besten, die es gibt in Deutschland. Noch ein MRT, welches die erste Diagnose leider bestätigte.
    Seine Schwester, seine Freundin – die sich jetzt schreckliche Vorwürfe machte, dass sie den Ernst der Lage nicht erkannt hatte und immer nur bitterlich weinte – fuhren am selben Tag noch zu ihm. Ca. 150 km. Am Samstag dann mein Mann und ich, Schwester, Freundin – immer abwechselnd bei ihm. Sonntag ebenfalls.
    Die Lähmungserscheinungen hatten sich immens verstärkt. Er durfte nicht mehr aufstehen, konnte es allerdings auch nicht. Wir schoben ihn dann mit dem Rollstuhl über das Gelände der Klinik.

    Das Klopfen an der Tür unterbricht die Verbindung zur farblosen Vergangenheit. Reflexartig schaue ich auf.
    „Ich habe Kaffee auf den Wagen gestellt“, sagt die Schwester und schließt die Tür, bevor ich etwas entgegnen kann.
    Der Wagen vor dem Gemeinschaftsraum. Das Zentrum der Nachmittagssünde. Endlich Kaffee!
    Nun ist auch Hanna wach, öffnet instinktiv die Schublade ihres Rollcontainers und holt eine Packung Kekse heraus.
    „Wird ja auch Zeit!“, brummt sie

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