Das Leben Zimmer 18 und du
Welt eintauchen und alles andere für eine Weile vergessen. Das ist ein tolles Gefühl!“
Seine Lippen pressen sich zu einem schmalen Grinsen zusammen. Keine wortlose Antwort könnte wortreicher sein als seine. Allein jede Geste, jeder Blick von ihm macht auf unerklärliche Weise deutlich, wie gut er mich versteht. Nicht nur wegen der Krankheit, die wir miteinander teilen, nein, es ist mehr. Viel mehr.
Trotzdem gelingt es mir nicht, dieses Gefühl richtig zu deuten, denn wie soll eine derart tiefe Empfindung nach so kurzer Zeit überhaupt möglich sein?
„Bist du morgen auch wieder dabei?“, fragt er.
„Depressionsrunde?“ Ich grinse. „Na klar. Das lasse ich mir nicht entgehen.“
Das Lächeln weicht nicht von seinen Lippen. Für einen Moment scheint ein Zauber zwischen uns zu liegen. Ein Zauber, den ich weder halten noch von uns schieben kann. Vielmehr scheint er wie ein unsichtbarer Schleier über uns zu schweben, der jedem noch so belanglosen Wort eine vollkommen neue Bedeutung gibt. Eine tiefere Bedeutung, als ich erahnen kann.
„Hey Basti!“ Ein Männerstimme schiebt sich in unser Gespräch. „Wir wollen los!“
Er dreht sich zu einem jungen Mann mit raspelkurzem Haar um, der direkt hinter uns steht. Ein anderer Patient?
„Ich komme“, antwortet Bastian.
Ich spüre, wie mein Herz einen Hauch schwerer wird. Will er etwa jetzt schon gehen?
„Wir sehen uns ja dann morgen.“ Er legt seine Hand auf meine Schulter, eine flüchtige Geste zum Abschied, die mein eben noch schweres Herz zum Hüpfen bringt.
„Ja“, antworte ich mit bemüht tapferem Lächeln.
Dann verschwindet er gemeinsam mit dem anderen Mann über den Gang auf seiner Station. Ob sie einen gemeinsamen Ausflug planen? Oder steht eine Außentherapie an?
Regungslos verharre ich an meinem Platz neben der Eingangstür, während ich erneut nach draußen schaue.
Es hat aufgehört zu schneien. Alles, was jetzt noch an die tanzenden Flocken erinnert, ist ein weicher weißer Flaum auf dem kalten Boden. Und plötzlich bin ich mir sicher, dass irgendwo unter dem Weiß auch Grün ist.
*
In wohliger Vertrautheit schmiegt er sich schnurrend um meine Waden.
Ich nehme ihn auf den Arm und presse mein Gesicht in sein schwarzes Fell.
„Da ist ja mein kleiner Poldi“, quieke ich freudestrahlend. „Hast du mich vermisst, mein Kleiner?“
David lässt die Eingangstür hinter mir ins Schloss fallen und legt den Autoschlüssel auf den kleinen Rattan-Tisch im Wintergarten.
„Natürlich hat er dich vermisst“, sagt er. „Aber daran, dass er momentan auf deiner Betthälfte schläft, hat er sich schon sehr schnell gewöhnt.“
„Das kann ich mir vorstellen.“ Ich hauche einen Kuss auf seinen behaarten Kopf und lasse ihn langsam wieder zu Boden.
Poldi schlängelt sich durch die Wintergartentür in die Küche, während ich für einen Moment auf der Türschwelle verharre.
„Ob es wirklich so eine gute Idee war, einfach herzukommen?“, frage ich.
„Es war deine Idee!“, antwortet David.
„Ich weiß, aber eigentlich ist die Besuchszeit nicht dafür da, um mal eben nach Hause zu fahren. So etwas muss normalerweise mit dem Arzt abgesprochen werden.“
„Wir können in zwanzig Minuten wieder in der Klinik sein“, antwortet David.
Ich betrete die Küche und schaue zur Treppe herüber, die ins Schlafzimmer führt.
„Bevor wir fahren, würde ich mich gern kurz hinlegen.“
„Jetzt?“
„Ja. Einfach nur hinlegen. Im eigenen Bett, verstehst du?“
Er schweigt.
„Ich will sehen, was dieser Moment mit mir macht oder ob ich wieder Angst bekomme“, erkläre ich.
„Warum solltest du Angst haben?“
„Wenn ich eine Antwort auf diese Frage wüsste, wäre ich nicht krank“, antworte ich, ohne ihn anzuschauen.
Wieder habe ich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Sogar David gegenüber. Manchmal sogar gerade ihm gegenüber. Oder rede ich es mir mittlerweile ein? Bin ich einfach zu empfindlich, was dieses Thema angeht?
„Es dauert nur ein paar Minuten“, sage ich, während ich langsam die Treppe hinaufgehe.
Oben angekommen, erfüllt mich der Blick auf mein Bett für einen Moment mit angenehmer Vertrautheit. Instinktiv lasse ich mich darauf fallen. Noch immer im Mantel. Noch immer mit kalten Händen.
Als ich mich zur Seite drehe, so wie ich es noch vor wenigen Wochen jeden Abend getan habe, überkommt mich ein unbeschreibliches Gefühl der Leere.
Tränen steigen in mir hoch, die ich nicht abzuwehren versuche. Fast kommt
Weitere Kostenlose Bücher