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Das leere Grab im Moor

Das leere Grab im Moor

Titel: Das leere Grab im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Eine Gestalt, die man so rasch nicht vergißt.

4. Station im Gasthaus
Höllenmühle
     
    Der Mann war fast zwei Meter
groß. Aber mehr als 70 Kilo wog er bestimmt nicht. Alles an ihm schlotterte:
Der viel zu kurze Regenmantel, dessen Risse und Löcher mit Klebestreifen
ausgebessert waren; die Hose, die nur bis zur Hälfte der Waden reichte; das
ehemals weiße, jetzt aber dreckgraue Smokinghemd — wo auch immer er das geklaut
haben mochte — und der nagelneue, cremefarbene Hut. Wie ein schicker Borsalino
sah der aus und war — garantiert — geklaut.
    Im Laufschritt kam der Mann
näher. Ein struppiger Bart hing aus seinem hageren Maulesel-Gesicht; und die
Augäpfel rollten wie wild.
    Sieht aus, als wäre eine
Vogelscheuche lebendig geworden, dachte Tarzan.
    „Ist das nicht Max Stulla?“
fragte Klößchen.
    „Klar“, sagte Karl. „Wer denn
sonst!“
    Max Stulla gehörte zur Stadt —
beinahe schon wie ein Wahrzeichen. Er war ein Penner, ein Vagabund, ein
Stadtstreicher — ein Mensch ohne festen Wohnsitz, ohne Arbeit, Angehörige und
Geld. Vom Betteln lebte er und, wie er behauptete, von Gelegenheitsarbeiten.
Freilich — das glaubte niemand. Denn niemand hatte ihn jemals arbeiten gesehen.
Angeblich war er ein gebürtiger Russe und nach dem Zweiten Weltkrieg hier
geblieben. Aber er sprach so gut Deutsch wie ein Deutscher, und der Name Max
Stulla deutete auch nicht gerade auf russische Herkunft hin.
    „Will der uns verkloppen?“
fragte Karl.
    Ganz so sah es aus. Denn Stulla
schwang einen dicken Knüppel, und das Maulesel-Gesicht wirkte wütend.
    „Schert euch weg!“ schrie er,
keuchend und am Ende mit seinem Atem. „Weg hier! Das ist mein Bezirk.“

    Er war so ausgepumpt, daß er
kaum noch zum Grab hinauf konnte.
    „Was ist los?“ fragte Tarzan.
    „Haut ab! Ihr habt hier nichts
zu suchen. Das ist mein Bezirk. Ist sowieso schon...“, er holte tief Luft, weil
sein Atem nicht reichte, „...ist sowieso schon der schlechteste Bezirk. Ist...
zu weit weg.“
    „Ich verstehe kein Wort“, sagte
Tarzan. „Im übrigen bleiben wir so lange hier, wie wir wollen. Das Soiner Moor
ist nämlich kein Privatbesitz, schon gar nicht Ihr Bezirk und daher für
jeden zugänglich, Herr Stulla.“
    „Jetzt nicht mehr. Das Moor ist
aufgeteilt.“
    „Wie bitte?“
    Stulla stützte sich auf seinen
Knüppel. Mit dem Ärmel des Regenmantels wischte er sich übers Gesicht. Er galt
sonst als gutmütig, jedenfalls nicht als kriminell oder gefährlich. Aber heute
war irgendwas in ihn gefahren.
    „Das Moor ist aufgeteilt. Wißt
ihr das nicht? Wegen des Flugzeugs! Ich meine, wegen des Schatzes. Überall kann
die Kiste liegen. Gefunden hat sie noch niemand. Auch den Piloten hat man noch
nicht gefunden. Mit... mit... den andern habe ich mich geeinigt. Ab der Buche
dort hinten ist es mein Bezirk. Hier darf ich suchen. Und sonst niemand.“
    „Ach, du meine Güte!“ sagte
Tarzan. „So einen Blödsinn habe ich schon lange nicht gehört. Wer sind denn die
anderen? Der Oberbürgermeister und der Polizeipräsident? Oder Ihre Freunde aus
dem Obdachlosen-Asyl? Die Schatzkiste interessiert uns nicht, Herr Stulla.
Niemand nimmt Ihnen was weg.“
    „Das sagt ihr nur. Ihr seid
scharf auf den Schatz!“
    Nicht zu glauben! dachte
Tarzan. Sowas macht aus Menschen Hyänen. Nur daß es nicht um Aas geht, sondern
um Gold.
    „Sind wir nicht“, erwiderte er.
„Und wenn wir’s wären, könnten Sie’s auch nicht verhindern. Wir blieben
trotzdem, solange wie wir wollen.“
    Stulla sah aus seiner
Zwei-Meter-Höhe auf die Kinder hinab. Aber seine Größe imponierte niemandem.
Auch eine Giraffe ist größer als ein Löwe, doch im Ernstfall nützt ihr das
nichts.
    „Hallo!“ sagte Klößchen. „Wie
ist eigentlich die Luft da oben? Hier unten ist sie voller Mücken.“
    Stulla verzog das Gesicht. Es
sah aus, als weinte er gleich. Dann stampfte er mit dem Fuß auf. Danach stand
er nur noch da, starrte ins Heidekraut und atmete wie ein Blasebalg.
    Es war ein jammervoller
Anblick. Plötzlich hatte Tarzan Mitleid mit ihm.
    „Kommt! Wir gehen“, sagte er
seufzend zu seinen Freunden. „Was sollen wir noch hier?“
    Alle nickten, und sie machten
sich auf den Rückweg.
    Stulla dankte es ihnen, indem
er hinterher rief: „Laßt euch hier nicht wieder blicken! Das ist mein Bezirk!“
    „Ich glaube, der tickt nicht
richtig“, meinte Karl. „Und Verrückten soll man aus dem Weg gehen. Ihre
Krankheit ist ansteckend.“
    „Ob er wohl der Wilddieb

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