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Das leere Grab im Moor

Das leere Grab im Moor

Titel: Das leere Grab im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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sicherer als das
Halsband.“
    Wenig später radelten sie los.
    Daß heute Samstag war, merkte
man auf der Soiner Straße.
    „Noch ein paar Wagen — und der
Verkehrsstau ist fällig“, stellte Klößchen fest.
    Er hatte recht. Die halbe Stadt
schien unterwegs zu sein. Auf der Straße ging’s zu, als führe sie zu einem
Volksfest.
    Aber Tarzan kannte das. Die
große Menge kommt immer nur bis zum Parkplatz. Und gerade noch bis zum
Ausflugslokal, das aber nicht weiter als 300 Schritte entfernt ist. Wo die
Natur beginnt und man laufen muß, herrschen Stille und Einsamkeit. Die
Sportlichen und die Wanderer sind dort unter sich.
    An derselben Stelle wie gestern
ließen sie ihre Räder zurück. Oskar blieb fest an der Leine, als sie zum Leeren
Grab marschierten.
    Es war noch nicht zehn Uhr,
aber die Sonne stand hoch und schien mit ihren Strahlen auf die kleine Gruppe
zu zielen. Tarzan machte das nichts aus. Er vertrug Hitze wie Kälte. Aber
Klößchen schimpfte wie ein Rohrspatz und lag den andern mit seinen
Ankündigungen in den Ohren, wie viele Limonaden er nachher in der Höllenmühle
trinken werde.
    Sie erreichten das Leere Grab
und sahen sich nach dem Stadtstreicher Stulla um. Aber entweder hatte ihn
jemand vertrieben oder er schlief noch. Oder er war entmutigt, jedenfalls ließ
er sich nirgendwo blicken. Auch sonst war es still im weiten Umkreis. Das lag
wohl daran, daß dieser Teil des Moors am weitesten von der Absturzstelle
entfernt war.
    „Wir sehen nach dem Reh“, sagte
Tarzan.
    „Meinst du, es ist noch da?“
fragte Karl.
    „Natürlich nicht. Das haben
Gröbl und die Polizisten mitgenommen. Aber eine Tatortbesichtigung kann nicht
schaden.“
    „Noch mal laufen“, murrte
Klößchen. „Immer laufen.“
    „Ist doch gut“, meinte Tarzan.
„Da kriegt man wenigstens ein bißchen Durst. Du glaubst nicht, wie du dich dann
auf die Limonade heute abend freust und...“
    „Heute abend? In spätestens
einer Stunde trinke ich ein Faß aus“, empörte sich Klößchen. „Sonst
verschmachte ich.“
    „Hihi! Er verschmachtet“,
lachte Gaby. „Speist du neuerdings auch? Und mundet es dir? Tust du dich
gütlich an Schokolade oder anderem Verzehr?“
    „Nee!“ sagte Klößchen. „Bei mir
heißt das immer noch: Schmausen, spachteln, schnabulieren, mampfen, präpeln,
futtern, acheln, vespern und fressen.“
    „Und das bringst du“, lachte
Tarzan, „ohne eine Sekunde nachzudenken. Ich wette, es gibt kein anderes
deutsches Wort, für das du auf Anhieb so viele Synonyme (sinnverwandte
Worte) weißt.“
    „Wette gewonnen“, sagte
Klößchen.
    Im Gänsemarsch pilgerten sie zu
der Baumgruppe hinüber.
    Unter den Birken war der Boden
von schweren Stiefeln zertreten. Tarzan fand den Baum, an dem das Reh gehangen hatte.
Natürlich war’s nicht mehr da. Aber an der weißen Rinde der Birke klebte
geronnenes Blut. Und Oskar gebärdete sich, als hinge der Festtagsschmaus noch
im Baum.
    „Das arme Reh“, sagte Gaby. „Es
hätte sicher gern noch gelebt.“
    Oskar schnüffelte über den
Boden. Er hatte ein Geschirr aus rotem Leder um, mit dazu passender Leine. Zu
seinem weißen Fell mit den schwarzen Flecken bildete das einen hübschen
Kontrast.
    Plötzlich zerrte er wie wild.
    Gaby, die ihn hielt, wurde fast
umgerissen. „Oskar, was hast du denn?“
    Oskar schob die Nase ins
Heidekraut und strebte unter den Birken hervor. Um ihm seinen Willen zu lassen,
folgte Gaby einige Schritte.
    Hier war der Boden wie ein
Rübenacker: Aufgebrochen, teils sumpfig, übersät mit fauligem Knüppelholz und
vermodernden Baumstümpfen. Aber dahinter breitete sich eine bettgroße Moosbank
aus. Sie lockte zum Hinsetzen.
    Oskar schnüffelte am Rande der
Moosbank. Mit der Nase schob er einen offenbar lockeren Batzen zur Seite. Dann
begann er mit den Vorderpfoten zu scharren.

    „Laß’ den Maulwurf!“ befahl
Gaby. „Sei ein braver Hund.“
    Aber Oskar war es völlig egal,
ob man ihn für einen braven oder für einen ungezogenen Hund hielt. Ihn
interessierte, was unter dem Moos war. Jetzt hatte er einen Zipfel davon
erwischt. Er zerrte. Weißes Tuch kam zum Vorschein — immer mehr. Es war mit
Erde verschmutzt. Trotzdem sah man: Es war neu. Oskar zerrte und zerrte, ging
knurrend rückwärts, ließ seinen Fund nicht los und wedelte vor Stolz.
    „Ja, was ist denn das?“ meinte
Klößchen. „Hat da jemand seine Bettücher vergraben?“
    Oskar hatte alles
hervorgezerrt. An der zusammengeknäulten Stoffmasse hingen Strippen, an

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