Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
schrecklicher, bröseliger alter Totenkopf, aber es ist schon eine Weile her, dass der was gesagt hat. Die Uhr, die in der Nähe steht, ist verrückt, sie schlägt die Stunden, wie es ihr gerade passt, Mitternacht zu jeder Stunde, fünf Uhr nachmittags um vier Uhr in der Früh, dann wochenlang wieder keinen einzigen Schlag. Und dann der Wein – o Kätzchen, wäre es nicht einfacher, du zeigtest mir den Gang? Du weißt doch, wo er ist, nicht wahr?«
»Natürlich weiß ich das«, antwortete die Katze und gähnte schimmernd und sperrangelweit. »Natürlich wäre es viel einfacher, wenn ich euch den Weg zeigte; ersparte euch eine Menge Zeit und Ärger!«
Ihre Stimme fiel zu einem schläfrigen Maunzen ab, und Molly merkte, dass die Katze, genau wie König Haggard, das Interesse verlor. Rasch fragte sie: »Sag mir wenigstens noch eines: Was ist aus den Einhörnern geworden? Wo sind sie?«
Die Katze gähnte wieder. »Nah und fern, fern und nah«, schnurrte sie. »Sie sind in Sichtweite deiner Herrin, doch fast schon außerhalb ihres Erinnerungsvermögens. Sie kommen näher, und sie verschwinden wieder.« Sie schloss ihre Augen.
Mollys Stimme klang, als zupfe man ein straffes Seil. »Der Teufel soll dich holen! Warum hilfst du mir denn nicht? Musst du immer in Rätseln sprechen?«
Langsam öffnete sich ein Auge, goldengrün wie Sonnenschein im Walde. Die Katze sagte: »Ich bin, wie ich bin. Ich würde dir gern sagen, was du wissen willst, denn du bist gut zu mir gewesen. Doch bin ich eine Katze, und keine Katze hat jemals irgendwo irgendjemandem eine klare Antwort gegeben.«
Ihre letzten Worte gingen in ein tiefes, regelmäßiges Schnurren über, sie schlief ein, das eine Auge halb geöffnet. Molly hielt sie in ihrem Schoß und streichelte sie; die Katze schnurrte im Schlaf, aber sie sprach nicht noch einmal.
11
rei Tage nachdem er ausgezogen war, den Oger mit der Schwäche für Dorfmädchen zu erschlagen, kehrte Prinz Lír heim. Die Große Axt des Herzogs Alban hatte er umgehängt, der Kopf des Oger baumelte an seinem Sattel. Keine der beiden Trophäen brachte er zur Lady Amalthea, auch eilte er nicht mit bluttriefenden Händen zu ihr. Er hatte beschlossen, die Lady Amalthea hinfort nicht mehr mit seinen Galanterien zu belästigen, vielmehr in Gedanken an sie still dahinzuleben, ihr voll Demut zu dienen bis zu seinem einsamen Tode, zu verzichten auf ihre Gesellschaft, ihre Bewunderung und ihre Liebe. »Ich werde so unauffällig sein wie die Luft, die sie atmet, so unsichtbar wie die Kraft, die sie an die Erde bindet«, sagte er am Abend seiner Heimkehr in der Küche zu Molly Grue. Nach einigem Nachdenken fügte er dann hinzu: »Vielleicht werde ich hie und da ein Gedicht für sie schreiben und es unter ihrer Tür durchschieben, oder es irgendwo liegenlassen, wo sie es zufällig findet. Aber keines von diesen Gedichten werde ich signieren!«
»Das ist sehr edel«, erwiderte Molly. Sie war erleichtert, dass der Prinz seine Hofmacherei aufgab, ein wenig belustigt darüber und ein bisschen traurig. »Mädchen finden an Gedichten mehr Gefallen als an toten Drachen und Zauberschwertern«, tröstete sie ihn. »Ich zumindest tat es immer, als ich ein Mädchen war. Der Grund, weshalb ich damals mit Cully davonlief…«
Doch Lír fiel ihr ins Wort. »Nein, mach mir keine Hoffnungen«, sagte er fest. »Ich muss lernen, ohne Hoffnung zu leben, wie es mein Vater tut. Vielleicht werden wir beide uns dann endlich verstehen.« Er suchte in seinen Taschen, und Molly hörte das Knistern von Papier. »Ich habe schon ein paar Gedichte darüber geschrieben, über Hoffnung, Liebe und solche Sachen. Wenn du Lust hast, kannst du sie ja mal durchsehen.«
»Mit Vergnügen«, sagte Molly. »Aber wirst du denn nie wieder hinausziehen, um mit schwarzen Rittern zu kämpfen und durch Waberlohen zu reiten?« Sie hatte ihn mit diesen Worten hänseln wollen, doch während sie sprach, fand sie plötzlich, dass es schade wäre, wenn es sich so verhielte, denn seine Abenteuer hatten ihn viel hübscher und um einiges schlanker gemacht, und ihm obendrein eine Spur des verführerischen Todeshauches verliehen, der allen Helden anhaftet. Doch der Prinz schüttelte den Kopf und sah fast verlegen aus.
»Oh, ich werde wohl auch weiterhin mitmischen«, murmelte er. »Aber nicht, um damit anzugeben oder um sie zu beeindrucken. Zuerst habe ich es aus diesen Gründen getan, doch dann wird es eine Art Gewohnheit, Menschen zu retten, Verzauberungen zu lösen,
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