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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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Schritte schallten zwischen den Wänden hin und her, während König Haggard sie geifernd und fluchend antrieb. Die Lady Amalthea zögerte keine Sekunde, sie betrat die Uhr und verschwand, wie der Mond hinter Wolken tritt – verborgen von ihnen, aber nicht in ihnen, sondern tausend Meilen entfernt und ganz allein.
    ›Als wäre sie eine Dryade und die Zeit ihr Baum‹, dachte Molly benommen. Durch das trübe, gefleckte Glas konnte sie das Pendel und die Gewichte und das rostzerfressene Läutwerk sehen, wie es vor ihren Augen schwankte und flimmerte. Auf der anderen Seite befand sich keine Tür, durch welche die Lady Amalthea gegangen sein konnte. Es gab nichts als die rostige Straße des Uhrwerks, die ihre Augen in den Regen führte. Die Gewichte trieben wie Seetang hin und her.
    König Haggard schrie: »Haltet sie! Zerschmettert die Uhr!« Molly wollte Schmendrick sagen, sie glaubte jetzt zu verstehen, was der Schädel gemeint hatte, doch der Zauberer war verschwunden und die große Halle des Königs Haggard ebenfalls. Die Uhr war auch nicht mehr da, und sie selbst stand an einem kalten Ort neben der Lady Amalthea.
    Von sehr weit her erklang die Stimme Haggards, weniger hör- als erinnerbar. Sie wandte ihren Kopf und blickte in das Gesicht des Prinzen Lír. Hinter ihm flirrte ein feiner Nebelschleier wie die Flanken eines Fisches, ohne jede Ähnlichkeit mit einem verrosteten Uhrwerk. Schmendrick war nirgends zu sehen.
    Prinz Lír verbeugte sich tief vor Molly, sprach aber zuerst die Lady Amalthea an. »Du wärest also ohne mich gegangen. Du hast mir niemals zugehört.«
    Sie antwortete ihm, sie, die weder mit Molly noch mit Schmendrick ein Wort gesprochen hatte. Mit klarer, leiser Stimme sagte sie: »Ich wäre zurückgekommen. Ich weiß nicht, weshalb ich hier bin, und ich weiß nicht, wer ich bin. Aber ich wäre zurückgekommen.«
    »Nein«, antwortete der Prinz, »nie wärest du zurückgekommen!«
    Bevor er weitersprechen konnte, mischte sich Molly ein, rief – sehr zu ihrer eigenen Überraschung –: »Das ist doch jetzt ganz gleichgültig! Wo ist Schmendrick?« Die beiden Fremden blickten sie höflich verwundert an, verwundert, dass noch andere Menschen auf dieser Welt etwas zu sagen hatten, und Molly fühlte sich von Kopf bis Fuß erzittern. »Wo ist er? Wenn ihr nicht zurückgeht, dann werde ich es tun!«, und sie machte sich bereit.
    Er kam aus dem Nebel, ging mit gebeugtem Kopf, als müsse er gegen einen heftigen Wind anlehnen. Eine Hand presste er gegen seine Schläfe; als er die Hand wegnahm, sickerte Blut die Wange hinab.
    »Halb so schlimm«, sagte er, als er das Blut auf Molly Grues Hände tropfen sah. »Es ist nur ein Kratzer. Ich konnte nicht eher hindurch.« Er verneigte sich schwankend vor Prinz Lír. »Ich dachte mir schon, dass du es warst, der mich in der Dunkelheit überholte. Sag mir, wie du so leicht durch die Uhr gekommen bist. Der Schädel sagte, du wüsstest den Weg nicht.«
    Der Prinz sah verwirrt aus. »Welchen Weg?«, fragte er. »Was gab es da zu wissen? Ich sah sie und bin ihr gefolgt.«
    Schmendricks Lachen rieb sich an den rohen Wänden wund, die auf sie zugeschwommen kamen, als ihre Augen sich an die neue Dunkelheit gewöhnten. »Natürlich«, sagte er, »einige Dinge haben von Natur aus ihre eigene Zeit.« Er lachte wieder und schüttelte den Kopf, das Blut begann wieder zu fließen. Molly riss ein Stück von ihrem Rock ab.
    »Die armen alten Männer«, sagte der Zauberer. »Sie wollten mir nicht wehtun, und ich ihnen ebenso wenig. Wir hüpften und hopsten umeinander herum, baten einander um Verzeihung, und Haggard brüllte, und ich stieß die ganze Zeit gegen diese Uhr. Ich wusste, dass es keine wirkliche Uhr war, doch sie hat sich sehr real angefühlt. Dann kam Haggard mit seinem Schwert heran und traf mich.« Er schloss die Augen, als Molly seinen Kopf verband. »Haggard«, sagte er, »allmählich fing ich an, ihn zu mögen. Ich mag ihn immer noch. Er sah so verängstigt aus.« Die fernen, schwachen Stimmen des Königs und seiner Wächter schienen lauter zu werden.
    »Ich versteh dich nicht«, sagte Prinz Lír. »Warum war er verängstigt, mein Vater. Was hat er…?« In diesem Moment hörten sie jenseits der Uhr ein Triumphgeheul und ein gewaltiges Krachen. Der flirrende Nebel verschwand unverzüglich, von allen Seiten stürzte schwarzes Schweigen über sie herein.
    »Haggard hat die Uhr zerstört«, sagte Schmendrick nach einer Weile. »Jetzt gibt es keinen Weg zurück und

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