Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
zwischen zwei Fingern.
»Einverstanden!«, schrie der Schädel augenblicklich. »Topp und abgemacht, nur her damit! Der Gedanke an Wein hat mich durstiger gemacht, als ich in meinem ganzen Leben war, solange ich noch eine trockene Kehle hatte. Nur einen einzigen Zug, und ich werde dir alles sagen, was du wissen willst.« Die morschen Kiefer begannen gierig zu mahlen, die schiefrigen Zähne bebten und barsten.
»Gib’s ihm«, flüsterte Molly; sie verging vor Angst, die leeren Augenhöhlen könnten sich mit Tränen füllen. Doch Schmendrick schüttelte wieder den Kopf.
»Ich werde dir alles geben«, sagte er zu dem Schädel. »Sobald du uns gesagt hast, wie wir den Stier finden.«
Der Schädel seufzte, zögerte aber keinen Augenblick. »Der Weg geht durch die Uhr«, sagte er. »Ihr geht einfach durch die Uhr und seid am Ziel. Kann ich jetzt, bitte, den Wein haben?«
»Durch die Uhr!«, rief der Zauberer; er drehte sich um und spähte in den Winkel der großen Halle, wo die Uhr stand. Sie war groß, schwarz und schlank, das Schattenbild einer Uhr. Das Glas über dem Zifferblatt war geborsten, der Stundenzeiger fehlte. Hinter dem trüben Glas war das Uhrwerk kaum sichtbar, es drehte sich und zuckte hin und her, so munter wie ein Fisch im Wasser. Schmendrick sagte: »Du meinst, wenn die Uhr die richtige Stunde schlägt, öffnet sie sich, ein Gang wird sichtbar, eine Geheimtreppe?« Seine Stimme klang zweifelnd, denn die Uhr schien viel zu schmal für solch einen Durchgang zu sein.
»Darüber weiß ich nichts«, erwiderte der Schädel. »Wenn du warten willst, bis diese Uhr die richtige Stunde schlägt, wirst du hierbleiben müssen, bis du so kahl bist wie ich. Weshalb ein einfaches Geheimnis komplizieren? Man geht durch die Uhr, und auf der anderen Seite ist der Stier. Her mit!«
»Aber die Katze sagte doch…«, fing Schmendrick an. Doch dann ging er zur Uhr hinüber. Die Finsternis bewirkte, dass er einen Hügel hinunterzugehen schien, er wurde kleiner und gebeugter. Als er die Uhr erreicht hatte, ging er ohne anzuhalten weiter, als wäre sie wirklich nur ein Schatten – und stieß sich die Nase blutig.
»Sehr witzig!«, sagte er kühl zu dem Schädel, als er zurückkam. »Hast du gedacht, du könntest uns so leicht reinlegen? Der Weg zum Stier mag zwar durch diese Uhr führen, aber dazu muss man noch das Geheimnis wissen. Sag’s mir, oder ich schütte sogleich den Wein auf den Boden, dann kannst du dich an seinen Geschmack und an seinen Geruch erinnern, solang du willst. Entscheide dich schnell!«
Doch der Schädel lachte wieder; dieses Mal klang es nachdenklich, fast freundlich. »Ruf dir ins Gedächtnis, was ich über Zeit gesagt habe. Als ich noch lebte, glaubte ich – so wie du jetzt –, Zeit sei zumindest so fest und real wie ich selbst, womöglich noch mehr. Ich sagte ›ein Uhr‹, als ob ich es sehen, und ›Montag‹, als ob ich es auf einer Landkarte finden könnte. Ich ließ mich jagen, von Minute zu Minute, von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr ließ ich mich jagen, so als bewegte ich mich von einem Ort an einen anderen. Wie alle Menschen lebte ich in einem Haus, das aus Sekunden und Minuten, aus Wochenenden und Neujahrstagen erbaut war, und ich ging nie hinaus, bis ich starb; denn eine andere Tür gab es nicht. Heute weiß ich, dass ich durch die Mauern hätte gehen können.«
Molly blinzelte ratlos, doch Schmendrick nickte. »Ja«, sagte er, »so machen es die großen Magier. Aber die Uhr…«
»Die Uhr wird nie die richtige Stunde schlagen«, sagte der Schädel. »Haggard hat ihr Werk vor langer Zeit ruiniert, als er eines Tages versuchte, die Zeit festzuhalten, wie sie vor Überschwang. Doch das Wichtigste, was es zu verstehen gilt, ist: Es kommt nicht darauf an, ob die Uhr demnächst zehnmal schlägt oder sieben oder fünfzehn Uhr. Man kann seine eigene Zeit schlagen und mit dem Zählen anfangen, wo man will. Wenn du das einmal verstanden hast, dann ist jede Stunde die richtige für dich.«
Die Uhr schlug vier. Der letzte Schlag war noch nicht verklungen, als unter der Halle eine Antwort erscholl. Es war weder ein Brüllen noch das drohende Grollen, das der Rote Stier im Traum oft von sich gab; es war ein langgezogener, fragender Ton, als wenn der Stier davon erwacht wäre, dass er in der Nacht etwas Ungewohntes gewittert hätte. Die Steinfliesen zischelten wie Schlangen, und sogar die Finsternis schien zu erschauern, als das glimmernde Nachtgetier eiligst in die Ecken und Winkel der Halle
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