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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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In dem Traum stand ich mitten in der Nacht am Fenster und sah den Roten Stier, sah den Roten Stier…« Er verstummte.
    »Sah den Roten Stier die Einhörner ins Meer treiben«, sagte Schmendrick. »Es war kein Traum. Haggard hat es fertiggebracht, dass sie zu seinem Entzücken mit jeder Flut herein- und mit jeder Ebbe wieder hinaustreiben, alle außer einem.« Er holte tief Luft. »Und dieses eine ist die Lady Amalthea.«
    »Ja«, erwiderte Prinz Lír, »ja, ich weiß.«
    Schmendrick starrte ihn an. »Was soll das heißen: Ich weiß?«, wollte er aufgebracht wissen. »Wie solltest du wissen, dass die Lady Amalthea ein Einhorn ist? Sie kann es dir nicht gesagt haben, denn sie weiß es selbst nicht mehr. Seit sie nur noch dich im Kopf hat, will sie doch nichts als eine sterbliche Frau sein.« Er wusste recht wohl, dass es in Wahrheit genau umgekehrt war, doch in diesem Moment war ihm das gleichgültig. »Woher weißt du es?«, fragte er wieder.
    Prinz Lír blieb stehen und sah ihn an. Im Dunkeln konnte Schmendrick nur das kühle milchige Schimmern seiner Augen wahrnehmen.
    »Ich wusste bis zu diesem Augenblick nicht, was sie gewesen ist«, sprach er. »Doch als ich sie zum ersten Mal erblickte, da wusste ich, dass sie mehr war, als ich erkennen konnte. Einhorn, Meerweib, Lamia, Hexe, Gorgo – kein Name, den du ihr gibst, könnte mich überraschen oder ängstigen. Ich liebe, wen ich liebe.«
    »Das ist ein sehr nettes Gefühl«, meinte Schmendrick. »Doch wenn ich ihr die ursprüngliche Gestalt zurückgebe, damit sie mit dem Roten Stier kämpfen und ihre Gefährten befreien kann…«
    »Ich liebe, wen ich liebe«, wiederholte Prinz Lír standhaft. »Du hast keine Macht über wichtige Dinge.«
    Bevor der Zauberer antworten konnte, stand die Lady Amalthea zwischen den beiden Männern, ohne dass einer der beiden sie hätte zurückkommen hören. In der Finsternis gleißte und zitterte sie wie rasch fließendes Wasser. »Ich gehe nicht mehr weiter«, sagte sie.
    Sie sagte es zu Lír, doch Schmendrick war es, der antwortete: »Wir haben keine Wahl, wir können nur weitergehen.« Molly Grue kam heran, ein ängstliches Auge und der mattschimmernde Ansatz eines Wangenbogens. Der Zauberer sagte zum zweiten Mal: »Wir können nur weitergehen.«
    Die Lady Amalthea wich seinem Blick aus. »Er darf mich nicht verwandeln«, sagte sie zu Prinz Lír. »Erlaub ihm nicht, mich zu verzaubern. Der Stier kümmert sich nicht um Menschen, wir werden an ihm vorübergehen und entkommen. Der Stier ist hinter einem Einhorn her. Sag ihm, dass er mich nicht in ein Einhorn verwandeln darf!«
    Prinz Lír zerrte an seinen Fingern, bis sie knacksten. Schmendrick sagte: »Es ist wahr, wir könnten dem Roten Stier ohne weiteres entgehen, wie wir es schon einmal getan haben. Doch wenn wir das tun, wird es nie wieder eine Möglichkeit der Befreiung geben: Alle Einhörner dieser Welt werden dann auf immer und ewig seine Gefangenen bleiben, – außer einem, und das wird sterben. Es wird alt werden und sterben.«
    »Alles stirbt«, sagte sie, immer noch zu Prinz Lír gewandt. »Es ist gut, dass alles stirbt. Ich möchte sterben, wenn du stirbst. Verbiete ihm, mich zu verwandeln, erlaube nicht, dass er mich unsterblich macht. Ich bin kein Einhorn, kein Zauberwesen. Ich bin ein Mensch, und ich liebe dich.«
    »Ich weiß nicht viel über Verzauberungen«, antwortete er ihr sanft, »weiß nur, wie man sie bricht. Aber ich weiß, dass selbst der größte Magier machtlos ist gegen zwei, die fest zueinander halten; und dieser hier ist nur der arme Schmendrick. Fürchte dich nicht, fürchte dich vor nichts. Was immer du gewesen sein magst, jetzt gehörst du zu mir. Ich werde dich beschützen.«
    Endlich blickte sie dem Zauberer ins Gesicht; selbst in der Dunkelheit vermochte er das Entsetzen in ihren Augen zu erkennen. »Nein«, sagte sie, »nein, wir sind nicht stark genug. Er wird mich verwandeln, und was immer danach auch geschehen mag, du und ich werden einander verlieren. Wenn ich ein Einhorn bin, werde ich dich nicht lieben, und du wirst mich nur lieben, weil du nicht anders kannst. Ich werde schöner sein als alles andere in der Welt und werde ewig leben.«
    Schmendrick wollte etwas sagen, doch beim Klang seiner Stimme kauerte sie zusammen wie eine Kerzenflamme. »Ich will nicht, nicht um alles in der Welt«, klagte sie. Sie schaute zwischen Lír und Schmendrick hin und her, hielt ihre Stimme zusammen wie die Ränder einer Wunde. »Wenn er mich verzaubert,

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