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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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wenn du zum Anfangen ein bisschen Wasser hättest…« Schmendrick und der Totenkopf warfen ihr sehr ähnliche Blicke zu. »Es ist schon geglückt«, sagte sie laut, »du müsstest ja nichts Neues erschaffen. Das würde ich nie von dir verlangen!«
    Während sie sprach, sah sie die Lady Amalthea an; Schmendrick nahm das Flakon aus ihrer Hand und betrachtete es eingehend, drehte es in seinen Händen hin und her und murmelte merkwürdig zarte Worte vor sich hin. Schließlich meinte er: »Weshalb eigentlich nicht? Wie du gesagt hast: Es ist ein Trick, der zum Repertoire jedes Zauberers gehört, der etwas auf sich hält. Es gab eine Zeit, in der er sich großer Beliebtheit erfreute, doch heute ist er ein wenig aus der Mode gekommen.« Mit einer Hand fuhr er nachdenklich über das Fläschchen, webte ein Wort in die Luft.
    »Was treibst du da?«, fragte der Schädel eifrig. »He, komm näher ran, ich kann ja gar nichts sehen!« Der Zauberer wandte sich ab, presste das Fläschchen an die Brust und beugte sich darüber. Er begann mit wispernder Stimme ein Lied zu singen, das Molly an die Geräusche erinnerte, die ein Feuer macht, wenn seine Kohlen lang erloschen sind.
    »Es ist dir klar«, unterbrach er sich, »dass er nichts Besonderes werden kann. Höchstens vin ordinaire.« Molly nickte ernst. »Und für gewöhnlich ist er zu süß. Wie ich ihn allerdings dazu bringen soll, sich selbst zu trinken, ist mir schleierhaft.« Er setzte seinen Zaubersang fort, noch leiser und sanfter, während der Schädel sich bitterlich beklagte, er könne nicht das Geringste hören oder sehen. Molly sprach beruhigend und ermunternd auf die Lady Amalthea ein, die weder eine Antwort gab noch ihren Blick erwiderte.
    Der Singsang brach unvermittelt ab, Schmendrick setzte das Flakon an seine Lippen. Er roch daran und murmelte: »Schwach, sehr schwach, kaum Bukett. Noch niemand hat mit Zauberei guten Wein gemacht.« Dann neigte er das Fläschchen, schüttelte es, starrte es an, und mit einem kleinen, schrecklichen Lächeln drehte er es um. Nichts lief heraus, nicht ein einziger Tropfen.
    »Erledigt«, sagte Schmendrick fast fröhlich. Er leckte mit ausgetrockneter Zunge über seine trockenen Lippen und wiederholte: »Erledigt, aus und vorbei.« Immer noch lächelnd hob er das Flakon und machte Anstalten, es quer durch die Halle zu schleudern.
    »Nein, halt, warte, tu’s nicht!« Die klatternde Stimme des Totenkopfes protestierte so verzweifelt, dass Schmendrick innehielt, ehe das Fläschchen seine Hand verließ. Molly und er drehten sich zusammen nach dem Schädel um, der – so ungeheuer war seine Qual – angefangen hatte, hin- und herzuwackeln, wobei sein mürber Hinterkopf schwer gegen die steinerne Säule schlug, während er sich zu befreien suchte. »Halt ein!«, jammerte er. »Ihr müsst ja verrückt sein, mit Wein so umzugehen! Gebt ihn mir, wenn ihr ihn nicht wollt, aber werft ihn um Himmelswillen nicht weg!« Er wackelte und schlingerte wimmernd an der Säule hin und her.
    Ein fragender, träumerischer Ausdruck zog über Schmendricks Gesicht, es sah aus, als zöge eine Regenwolke über trockenes Land. Verwundert fragte er: »Was könntest du mit Wein anfangen, du, der du keine Zunge zum Schmecken, keinen Gaumen zum Genießen, keine Gurgel zum Hindurchjagen hast? Fünfzig Jahre tot, wie ist es möglich, dass du dich immer noch erinnerst, immer noch gierig bist…«
    »Fünfzig Jahre tot, was bleibt mir andres übrig.« Der Schädel stellte sein groteskes Zappeln ein, doch Enttäuschung und Gier gaben seiner Stimme einen fast menschlichen Klang. »Ich erinnere mich«, sprach er, »ich erinnere mich an mehr als nur an Wein. Gib mir einen Schluck, nur ein Schlückchen, und ich werde ihn genießen, wie ihr es niemals könnt, ihr, die ihr noch Fleisch und Blut seid, Nerven und Organe besitzt. Ich habe Zeit zum Nachdenken gehabt. Ich weiß, was Wein ist. Gib her!«
    Schmendrick schüttelte grinsend den Kopf. »Sehr eloquent, doch leider fühle ich mich in der letzten Zeit auch etwas boshaft.« Zum dritten Mal hob er das leere Flakon, der Schädel stöhnte auf in Todesnot.
    Mitleidig sagte Molly Grue: »Aber das ist nicht…«, doch der Zauberer trat ihr auf den Fuß. »Natürlich«, überlegte er laut, »wenn du dich an den Eingang zur Höhle des Roten Stieres erinnern könntest – so gut, wie du dich an den Wein erinnern kannst –, dann gäbe es vielleicht eine Möglichkeit, ins Geschäft zu kommen.« Er schwenkte das Fläschchen lässig

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