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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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fallen wie einen Panzer oder ein Leichentuch. Bei den ersten Worten des Zauberspruches tat die Lady Amalthea einen kläglichen, schmerzvollen Schrei. Sie streckte ihre Hand aus nach Prinz Lir, doch der kehrte ihr den Rücken zu. weil er sie beschützte, und er hörte sie nicht. Molly Grue packte, voll Herzeleid, den Zauberer beim Arm, doch der sprach unaufhaltsam weiter. Als schon das Wunder erblühte, dort, wo die Lady Amalthea gewesen war, meerschaumweißes, grenzenlos schönes Wunder, so schön wie der Stier mächtig, da klammerte sich die Lady Amalthea noch immer an ihre alte Gestalt, noch einen einzigen Augenblick. Es gab sie nicht mehr, doch ihr Gesicht schwebte noch wie ein Hauch in dem kalten, dunstigen Licht.
    Prinz Lir hätte sich besser nicht umgedreht, doch tat er es und sah das Einhorn. Es schimmerte in ihm wie in einem Spiegel, er aber rief der anderen zu, der Verstoßenen, seiner Lady Amalthea. Seine Stimme bedeutete ihr Ende: als er ihren Namen aussprach, verschwand sie, als hätte er den Tag herbeigekräht. Alles geschah rasend schnell und langsam zugleich, wie es in Träumen geschieht. Das Einhorn stand reglos, sah sie aus verlorenen Augen an, schon Meilen von ihnen entfernt. Es war noch schöner, als Schmendrick es in Erinnerung hatte, denn niemand kann ein Einhorn lang im Gedächtnis behalten. Doch war es anders als früher, so wie auch er sich geändert hatte. Molly Grue ging auf das Einhorn zu, sprach sanfte, törichte Worte, doch das Einhorn gab kein Zeichen des Erkennens. Das wunderkräftige Horn blieb trüb wie Regen.
    Mit einem Brüllen, das die Höhlenwände bauchte und platzen machte wie Zirkusleinwand, griff der Stier zum ersten Mal an. Das Einhorn floh quer durch die Grotte und in die Finsternis. Prinz Lir hatte sich beim Umdrehen einen Schritt zur Seite bewegt, und bevor er wieder herumfahren konnte, schmetterte ihn des Stieres jähe Jagd zu Boden. Betäubt und mit offenem Munde lag er da.
    Molly wollte ihm zu Hilfe eilen, doch Schmendrick hielt sie fest, zerrte sie hinter Stier und Einhorn her. Keines der Tiere war zu sehen, doch der Tunnel dröhnte von ihrer wilden Jagd. Betäubt und benommen stolperte Molly neben dein hitzigen Fremden her, der es weder ‚zuließ, dass sie fiel, noch duldete, dass sie langsamer ging. Über und rings um sich fühlte sie das Schloss ächzen, im Felsen knirschen wie ein sich lockernder Zahn. Der Hexenvers schrillte laut in ihrem Gedächtnis:
     
    Nur Einem aus Hagsgate wird es gelingen,
    das Schloss zu zerstören, zum Einsturz zu bringen.
     
    Plötzlich hemmte Sand ihre Schritte, und der Geruch des Meeres – so kalt wie der andere Geruch umschmeichelte sie so gut und freundlich, dass sie im Laufen innehielten und lauthals lachten. Über ihnen auf dem Kliff ragte König Haggards Schloss in einen graugrünen Morgenhimmel, der mit milchigen Wölkchen gesprenkelt war. Molly spürte, dass König Haggard von einem der schwankenden Türme herab sie beobachtete, doch konnte sie ihn nicht sehen. In dem schwerblauen Himmel überm Wasser flimmerten noch ein paar Sterne. Es herrschte Ebbe, und der verlassene Strand schimmerte grau und feucht wie ein gehäuteter Fisch. Ganz am Ende des Strandes krümmte sich das Meer wie ein Bogen, und Molly erkannte, dass die Ebbe vorüber war.
    Im Scheitelpunkt dieses Bogens standen sich Einhorn und Stier gegenüber, das Einhorn mit dem Rücken zur See. Langsam bewegte sich der Rote Stier voran, ohne jedoch anzugreifen; fast zärtlich trieb er es in die Richtung des Wassers, ohne es je zu berühren. Es leistete ihm keinen Widerstand, sein Horn war dunkel und sein Kopf gesenkt. Wie damals auf der Ebene von Hagsgate, so war der Rote Stier auch jetzt sein Gebieter. Wäre das Meer nicht gewesen, hätte es die gleiche hoffnungsleere Dämmerung sein können.
    Doch war das Einhorn nicht ganz und gar besiegt; es wich zurück, bis es mit einem Hinterfuß ins Wasser trat. Da schnellte es durch den tückischen Dunstkreis hindurch und rannte den Strand entlang; so leicht und geschwind lief es dahin, dass der Luftzug seine Spuren verwehte. Der Stier folgte.
    »Tu etwas!« sagte eine heisere Stimme zu Schmendrick, wie Molly das vor langer, langer Zeit gesagt hatte. Prinz Lir stand neben ihm, mit blutendem Gesicht und wahnwitzigen Augen. Er sah aus wie König Haggard. »Tu etwas!« rief er. »Du hast die Macht dazu. Du hast sie in ein Einhorn verwandelt, jetzt rette sie! Ich werde dich töten, wenn du sie nicht rettest!« Er drohte dem

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