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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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weiß man überhaupt nicht, wo man anfangen soll.»
    «Kann ich mir vorstellen. Berlin ist genau genommen gar nicht so schlecht. Die Roten schlagen sich hier besser als die Nazis. Thälmann hat bei der letzten Wahl in Berlin neunundzwanzig Prozent erhalten, Hitler hingegen nur dreiundzwanzig.»
    Herzefelde schüttelte den Kopf. «Berlin ist nicht Deutschland, leider. Ich weiß nicht, wie die Dinge in dieser Stadt für die Juden stehen, aber im Süden ist es ziemlich hart. Daheim in München vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht die eine oder andere Morddrohung kriege.» Er trank von seinem Bier und nickte anerkennend. «Tatsächlich habe ich mit Weiß darüber gesprochen. Ich hatte überlegt, mit meiner Familie hierher zu ziehen.»
    «Sie meinen, um als Polizist in Berlin zu arbeiten?»
    Herzefelde lächelte. «Weiß hat genauso entsetzt reagiert. Sieht so aus, als müsste Plan B in Kraft treten: Irgendetwas, das nichts mit Regierung und Behörden zu tun hat.»
    «Ich habe mich selbst schon nach etwas anderem umgesehen.»
    «Sie? Aber Sie sind nicht mal Jude, oder doch?»
    «Nein. Ich bin Sozialdemokrat. Eiserne Front. Ein unverbesserlicher Anhänger der Weimarer Republik mit einer Abneigung gegen die Nazis.»
    Herzefelde prostete mir zu. «Dann auf Sie, Kamerad.»
    «Und? Haben Sie schon über Ihren Plan B nachgedacht?»
    «Ich hatte überlegt, vielleicht als Privatdetektiv zu arbeiten.»
    «Was denn, hier in Berlin?»
    «Warum nicht? Ich habe so ein Gefühl, dass es eine Menge vermisster Personen geben wird, wenn die Nazis erst an die Macht gekommen sind.»
    «Mir hat man eine Stelle im Hotel Adlon angeboten. Als Hausdetektiv.»
    «Klingt nett.» Er zündete sich eine Zigarette an. «Und? Nehmen Sie an?»
    «Ich dachte, ich warte erst ab, wie die Wahl ausgeht.»
    «Wollen Sie meinen Rat hören?»
    «Sicher.»
    «Wenn Sie können, bleiben Sie bei der Polizei. Juden, Liberale und Kommunisten werden wohlgesinnte Polizisten wie Sie bitter nötig haben.»
    «Ich denke drüber nach.»
    «Sie würden jedem einen Gefallen tun. Gott allein weiß, was das für eine Polizei sein wird, wenn sie nur noch aus lausigen Nazis besteht.»
    «So. Warum wollten Sie mich denn sprechen?»
    «Weiß hat mir von diesem Fall erzählt, an dem Sie arbeiten. Der Mordfall Anita Schwarz. Wir hatten einen ähnlichen Fall in München. Sie kennen München?»
    «Ein wenig.»
    «Vor ungefähr drei Monaten wurde ein fünfzehnjähriges Mädchen tot im Schlosspark gefunden. So ungefähr alles an Organen im Unterleib wurde ihr herausgeschnitten. Das ganze Fortpflanzungs- und Liebespaket. Richtig saubere Arbeit, wie von einem Chirurgen. Der Name des toten Mädchens lautet Elisabeth Bremer, und sie hat in Schwabing das Gymnasium besucht. Sie stammt aus einer netten Familie. Ihr Vater arbeitet bei der Zollbehörde in der Landsberger Straße. Die Mutter ist eine Bibliothekarin in einer Art Lateinbücherei im Maximilianeum. Weiß hat mir von Ihrem Fall erzählt. Dass das Mädchen eine Amateurprostituierte war.» Herzefelde schüttelte den Kopf. «Elisabeth Bremer war nichts dergleichen. Sie war eine gute Schülerin mit blendenden Zukunftsaussichten. Sie wollte Ärztin werden. So ungefähr das Einzige, was man ihr zum Vorwurf machen konnte, war ein älterer Freund. Er ist Schlittschuhlehrer im Prinzregentenstadion. Dort haben die beiden sich kennengelernt. Wir haben ihn durch die Mangel gedreht, aber er ist sauber. Er hat es nicht getan. Er hat ein niet- und nagelfestes Alibi für den Tag, an dem sie starb. Nach seiner Aussage hatten sie sich bereits wieder getrennt, bevor sie ermordet wurde. Er hatte schweren Liebeskummer deswegen. Seinen Worten zufolge hat sie ihm den Laufpass gegeben, weil sie ihn dabei überrascht hat, wie er in ihrem Tagebuch las. Er war nach Hause gefahren, nach Günzburg zu seinen Eltern, um über die Trennung hinwegzukommen.»
    Herzefelde wartete, während über uns eine S-Bahn vorbeifuhr.
    «Wir hatten eine Liste von Tatverdächtigen», fuhr er fort, als wieder Stille eingekehrt war. «Wir haben selbstverständlich alle überprüft, ohne Glück. Ich dachte bereits, die Spur wäre erkaltet, bis Weiß mir von Ihrem Mordopfer erzählt hat.»
    «Ich würde gern diese Liste sehen», sagte ich. «Die Liste und die restliche Akte.»
    «Das Gesetz verbietet, die Unterlagen in der Post zu versenden», sagte Herzefelde. «Allerdings kann Sie niemand hindern, nach München zu kommen und die Akten zu studieren. Sie können bei mir

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