Das letzte Experiment
Sie nicht darum, dass Sie aktiv suchen. Ich dachte nur, in Ihrer Position … vielleicht kommt Ihnen etwas zu Ohren. Damit ein wenig Licht ins Dunkel kommt. Eine Erklärung, was ihnen zugestoßen ist …»
«Können Sie denn keinen Privatdetektiv beauftragen?», schlug ich vor. «Oder vielleicht einen pensionierten Polizisten?»
«Das haben wir alles schon versucht», antwortete sie. «Die Polizisten in Argentinien sind nicht sehr ehrlich, Herr Hausner. Der Polizist, den wir um Hilfe gebeten haben, hat uns sämtlicher Ersparnisse beraubt. Erfahren haben wir nichts.»
Ich schüttelte den Kopf. «Ich würde Ihnen ja gern helfen, Anna. Aber ich weiß wirklich nicht, was ich tun könnte. Ich kenne mich kaum aus in dieser Stadt, geschweige denn in diesem Land. Ich bin immer noch dabei, die Sprache zu lernen und mich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Mich ein wenig einzuleben. Sie würden Ihre Zeit verschwenden und ihr Geld, glauben Sie mir.»
«Ich bitte Sie, mich zu verstehen. Ich kann Ihnen nicht anbieten, Sie zu bezahlen, Señor Hausner. Das Geld, das ich übrig habe, brauche ich, um meine Eltern zu unterstützen. Mein Vater spielt nicht mehr so oft. Er hat versucht, Musikstunden zu geben, aber er verfügt nicht über die nötige Geduld. Meine Mutter arbeitet im Laden von jemand anderem. Die Bezahlung ist sehr schlecht. Eigentlich hatte ich gehofft, dass Sie mir aus reiner Freundlichkeit helfen würden.»
«Ich verstehe.»
Das war etwas völlig Neues für mich. Die Bitte,
ohne Bezahlung
für jemanden zu arbeiten. Normalerweise hätte ich sie vor die Tür gesetzt. Doch sie war kaum als normal zu bezeichnen. Zu den vielen Dingen, die ich bereits an ihr bewunderte, kam nun auch noch ihre Chuzpe hinzu. Abgesehen davon war sie noch nicht fertig. Wie es schien, wollte sie mir statt Geld etwas anderes anbieten. Sie errötete ein wenig.
«Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es sein muss, in einem fremden Land ein neues Leben anzufangen», sagte sie. «Man braucht Zeit, um sich einzugewöhnen. Neue Freunde zu finden. Man könnte sagen, dass ich als Tochter von Einwanderern bestens mit den vor Ihnen liegenden Herausforderungen vertraut bin.» Sie atmete tief durch. «Wie dem auch sei, ich hatte überlegt, dass ich, nun ja, weil ich mir nicht leisten kann, Sie zu bezahlen … dass ich vielleicht Ihre Freundin werden könnte.»
«Das ist zur Abwechslung mal etwas Neues», sagte ich.
«Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Hausner. Ich schlage nichts Unmoralisches vor. Nein, ich hatte überlegt, dass wir vielleicht hin und wieder ins Theater gehen könnten, oder dass ich Ihnen die Stadt zeige … Sie einigen Leuten vorstelle. Hin und wieder könnte ich Ihnen ein Abendessen kochen. Ich bin eine sehr gute Gesellschafterin, glauben Sie mir.»
«Daran zweifle ich nicht.»
«In gewisser Hinsicht würden wir uns gegenseitig helfen.»
Vielleicht hätte ich ihr Angebot ausgeschlagen. Hätte sie nicht so verdammt gut ausgesehen. Auch ihre jüdische Herkunft spielte eine Rolle. Ich hatte die Ereignisse in der Ukraine 1941 nicht vergessen. Ich fühlte mich schuldig gegenüber dem gesamten jüdischen Volk. Ich wollte Anna Yagubsky nicht helfen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl zu müssen.
«Also schön, ich bin einverstanden.» Ich geriet ein wenig ins Stottern, als ich hinzufügte: «Das heißt, ich tue, was ich kann. Ich verspreche nichts, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber ich werde versuchen, Ihnen zu helfen. Ich könnte hin und wieder ein gutes Abendessen vertragen.»
«Also Freunde», sagte sie, und wir schüttelten uns die Hände.
«Offen gestanden, Sie sind die erste Freundin, die ich gefunden habe seit meiner Ankunft in Argentinien. Abgesehen davon würde ich zur Abwechslung gern einmal wieder etwas Anständiges tun.»
«Wieso? Sie machen mich neugierig.»
«Nein, seien Sie das nicht. Es hilft weder Ihnen noch mir.»
«Möchten Sie etwas Anständiges tun als Wiedergutmachung für etwas weniger Anständiges, das Sie getan haben? Etwas Schlechtes?»
«Ich sage Ihnen nur so viel: Fragen Sie mich nie danach. Das ist Teil unserer Abmachung. Teil meiner Bezahlung, Anna. Fragen Sie mich niemals danach. Einverstanden? Sind Sie einverstanden mit dieser Bedingung?»
Sie nickte zögernd.
«Versprochen?»
«Ich verspreche es.»
«Also gut, so weit. Jetzt verraten Sie mir doch, wie Sie mich gefunden haben?»
«Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Ich habe einen Freund bei der Polizei. Tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher