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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ist er das Schwein, das meine Familie um all ihre Ersparnisse erleichtert hat. Jetzt hat er Gewissensbisse deswegen und will uns helfen, wenn er nur irgendwie kann. Unglücklicherweise hat er das Geld bereits ausgegeben. Er hat es verspielt. Erhat mir verraten, wo ich Sie finde. Es war nicht so schwierig, denke ich. Es steht alles in Ihrer
cedula
. Er musste nur einen Blick in die Akte werfen. Ich ging zu Ihrem Hotel und bin Ihnen von dort aus hierher gefolgt.»
    «Je weniger dieser Beamte weiß, was ich tue, desto besser, soweit es mich betrifft.»
    Sie nickte und trank von ihrem Kaffee.
    «Ihr Onkel und Ihre Tante – wie heißen sie?»
    «Yagubsky. Der gleiche Name wie meiner.» Sie nahm ihre Tasche, holte eine Börse hervor und reichte mir eine Visitenkarte. «Hier», sagte sie. «So schreibt man es. Ihre Vornamen sind Esther und Roman. Roman und mein Vater sind Zwillingsbrüder.»
    Ich steckte die Karte ein. «Drei Jahre, sagen Sie?»
    Sie nickte.
    Ich steckte mir eine Zigarette an und seufzte. «Drei Jahre sind eine lange Zeit bei einem Vermisstenfall. Drei Monate – vielleicht findet man nach drei Monaten noch eine Spur. Aber drei Jahre   … und nicht ein einziges Wort? Keine Postkarte, gar nichts?»
    «Nichts. Wir dachten zuerst, sie wären vielleicht nach Israel ausgewandert. Wir waren bei der israelischen Botschaft, aber auch dort wusste man nichts. Sie sind wie vom Erdboden verschluckt.»
    «Soll ich Ihnen sagen, was ich denke? Aufrichtig?»
    «Sie denken, dass mein Onkel und meine Tante längst tot sind, und wahrscheinlich haben Sie recht. Ich bin keine Idiotin, Señor Hausner. Ich weiß auch, was die Zeichen bedeuten. Aber mein Vater ist ein alter Mann. Und es ist sein Zwillingsbruder. Lassen Sie sich von mir gesagt sein, Zwillinge sind ein wenig merkwürdig in diesen Dingen. Mein Vater sagt, er spürt, dass Roman noch in Argentinien ist. Er möchte Gewissheit haben, das ist alles. Ist das zu viel verlangt?»
    «Vielleicht. Und in diesem Geschäft gibt es keine Gewissheit. Daran sollten Sie sich besser möglichst schnell gewöhnen. Nichts ist jemals sicher.»
    «Außer dem Tod», entgegnete sie. «Der ist so sicher wie nur irgendetwas.»
    Ich nickte. «Das ist allerdings wahr. Was ich jedoch meinte, war, dass die Wahrheit nur selten die Wahrheit ist und dass die Dinge, von denen man geglaubt hat, sie wären nicht wahr, sich später als wahr erweisen. Mir ist bewusst, dass das verwirrend klingt, und das soll es auch, weil das Geschäft so ist, in dem ich arbeite. Obwohl ich offen gestanden nicht gern in diesem Geschäft bin. Nicht schon wieder. Ich dachte, ich hätte diese elende Geschichte hinter mir, dieses ständige Fragenstellen, ohne direkte Antworten zu erhalten. Das und der ständige Ärger, nur weil mir irgendjemand sagt, ich soll nach seinem verschwundenen Hund suchen, wenn in Wirklichkeit die Katze seines Nachbarn verschwunden ist. Ich dachte, ich wäre ein für allemal durch damit, aber ich bin es nicht, und wenn ich sage, dass in diesem Geschäft nichts sicher ist, dann meine ich genau das, weil ich ganz allgemein immer genau das meine, was ich sage. Er wird sich mit Sicherheit herausstellen, dass Sie mir irgendetwas nicht erzählt haben, das Sie mir von Anfang an hätten erzählen sollen, weil es die Dinge gleich von Anfang an klarer gemacht hätte. Verstehen Sie jetzt, Anna? Nichts ist gewiss. Nicht, wenn Menschen die Finger im Spiel haben. Nicht, wenn sie mit ihren Problemen zu dir kommen und dich um Hilfe bitten. Dann ganz besonders nicht. Ich habe es Hunderte Male erlebt, Anna. Glauben Sie mir, nichts ist sicher – nicht mal der Tod, wenn die Toten sich nämlich als lebendig herausstellen und wohlauf sind und wohnhaft in Buenos Aires. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Wenn all die toten Leute, die in dieser Stadt umherlaufen, alle plötzlich wirklich tot wären, hätten die Totengräber keine Chance, mit dem plötzlichen Ansturm fertig zu werden.»
    Sie war erneut rot angelaufen. Ihre Nüstern waren gebläht, und die Dreiecke ihrer Muskeln zwischen Kinn und Schlüsselbein waren gespannt wie Stahlseile. Mit einem kleinen Stab hätte ich darauf Triangel spielen können, den Brautchor aus dem
Lohengrin
.
    «Sie glauben, dass ich lüge?» Sie fing an, Handschuhe und Handtasche zusammenzusuchen, als stünde sie im Begriff, die höchsten Hügel von Dudgeon zu erklimmen. «Sie wollen sagen, dass Sie mich für eine Lügnerin halten!»
    «Sind Sie eine?»
    «Und ich dachte, wir

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