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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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wollten Freunde sein!», sagte sie. Ihre Oberschenkel drückten den Stuhl zurück, auf dem sie gesessen hatte.
    Ich packte ihr Handgelenk.
    «Langsam, langsam. Sie machen Streifen auf dem gebohnerten Boden», sagte ich. «Ich habe Ihnen lediglich die Ansprache gehalten, die ich all meinen Klienten halte. Die Ansprache, die ich ihnen halte, wenn für mich nichts dabei herausspringt. Es dauert ein ganzes Stück länger als eine kräftige Ohrfeige und eine Hand auf der heiligen Bibel, aber letztlich erspart es viel Zeit. Wenn sich nämlich hinterher herausstellt, dass Sie mich belogen haben, können Sie mir keinen Vorwurf machen, wenn ich Sie in Verlegenheit bringe, bis die Backen glühen.»
    «Sind Sie immer so zynisch? Oder liegt es an mir?» Sie blieb sitzen, für den Augenblick.
    «Ich bin niemals zynisch, Anna, es sei denn, ich hinterfrage die Ernsthaftigkeit der Motive meiner Mitmenschen.»
    «Ich frage mich, was Sie erlebt haben, Señor Hausner. Irgendetwas in Ihrer Vergangenheit muss Sie zu dem gemacht haben, was Sie heute sind.»
    «Irgendetwas in meiner Vergangenheit?» Ich grinste. «Sie tun gerade so, als wäre es vorbei. Nun, das ist es nicht. Offen gestanden, es ist alles andere als Vergangenheit. Noch lange nicht. Hatte ich Sie nicht gewarnt? Sie sollten mich nicht danach fragen, Anna.»
     
    Da ich selbst eine Art Spion war, kam ich relativ schnell zu der Erkenntnis, dass das, was ich am dringendsten nötig hatte, die Hilfe eines anderen Spions war. Und es gab lediglich eine Person in ganzArgentinien, der ich vertrauen konnte – fast. Diese Person war Pedro Geller, der zusammen mit Eichmann und mir über Genua nach Buenos Aires gekommen war. Geller arbeitete für CAPRI in Tucumán, und da die Hälfte der ehemaligen S S-Leute im Land ebenfalls für CAPRI arbeitete, würde ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn es mir gelang, seine Hilfe zu gewinnen. Das Dumme war nur, Tucumán lag mehr als tausend Kilometer nördlich von Buenos Aires. Zwei Tage nach meinem Gespräch mit Anna Yagubsky nahm ich die Mitre-Linie, die vom Bahnhof Retiro aus nach Norden führte. Der Zug fuhr über Cordoba bis nach La Paz in Bolivien, und in der ersten Klasse war es einigermaßen auszuhalten. Doch die Reise dauerte dreiundzwanzig Stunden, deswegen hielt ich mich an den Rat von Colonel Montalban und rüstete mich mit Büchern und Zeitungen und reichlich Essen und Getränken und Zigaretten aus. Da das Wetter in Tucumán mit großer Wahrscheinlichkeit wärmer war als in Buenos Aires und ein großer Teil der Reise in größerer Höhe stattfand, hatte mir der Arzt verschiedene Medikamente verschrieben für den Fall, dass meine Schilddrüse mir beim Atmen Probleme bereitete. Bis jetzt hatte ich in dieser Hinsicht Glück gehabt. Das einzige Mal, als mir das Atmen schwergefallen war, war meine erste Begegnung mit Anna Yagubsky gewesen.
    Die Heizung des Zuges fiel aus, bald nachdem wir den Bahnhof Retiro hinter uns gelassen hatten, und für den größten Teil der Reise fror ich. Zu sehr, um zu schlafen. Als wir Tucumán erreichten, war ich erschöpft. Ich mietete mir ein Zimmer im Hotel Coventry und ging auf der Stelle zu Bett. Ich schlief die nächsten zwölf Stunden am Stück, was ich seit über zehn Jahren nicht mehr gemacht hatte.
    Tucumán war die größte Stadt im Norden mit ungefähr zweihunderttausend Einwohnern. Sie lag auf einer Hochebene vor einer spektakulären Gebirgskette namens Sierra del Aconquija. Es gab zahllose Gebäude im Kolonialstil, eine Reihe hübscher Parks, einen Regierungspalast, eine Kathedrale und eine Freiheitsstatue, doch es war nicht New York. In der Luft hing ständig und überall ein Geruchnach Pferdemist. Tucumán war weniger eine Pferdestadt als vielmehr eine Pferdehaufenstadt. Selbst die Seife in meinem Hotelzimmer schien nach Pferdescheiße zu riechen.
    Pedro Geller arbeitete im technischen Büro von CAPRI in Cadillal, einer kleinen Ortschaft dreißig Kilometer außerhalb von Tucumán, doch wir trafen uns im Hauptbüro der Gesellschaft am Río Portero. Ich fragte ihn, welches das beste Restaurant der Stadt sei und ob ich ihn dorthin einladen dürfe, und so gingen wir zum Plaza Hotel ganz in der Nähe der Kathedrale. Ich nahm mir vor, das nächste Mal im Plaza abzusteigen anstatt im Coventry, sollte ich das Unglück haben, je wieder nach Tucumán zu müssen.
    Geller, der mir von früher bekannt war unter seinem richtigen Namen Herbert Kuhlmann, war mit sechsundzwanzig Jahren Hauptmann bei

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