Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
bescheidene weiße Lichterkette ein Tannenbäumchen.
Als sie die Pforte öffneten, stürmte ihnen ein wuscheliger schwarzer Hund entgegen. Hanna bückte sich, um den fröhlich kläffenden Hausbewohner zu begrüßen. Emil trat auf das Podest, auf das die Treppe neben dem Haus führte. »Hereinspaziert«, sagte er.
Der winzige Flur war vollgestopft mit zwei Hundekörbchen, Bergen von Schuhen und einer Garderobe, auf der sich Mäntel, Jacken und Mützen türmten. Emil geleitete seine Gäste in die Küche. Dort stand mit roten Wangen seine Frau Line. »Besuch«, rief sie erfreut und gab ihnen ihre knochige, aber warme Altfrauenhand. »Da mach ich uns doch gleich einen schönen Tee.« Line blickte schüchtern zu ihrem Mann. »Ist doch jetzt Zeit für Tee, oder, Emil?«
»Natürlich. It’s always teatime, my dear.«
Erleichtert machte sich Line ans Werk. Hanna und Theo bemerkten, dass Emil angespannt jeden Handgriff seiner Frau verfolgte. Erst als der Wasserkessel auf dem Herd stand und die richtige Platte glühte, verstaute er Theos Lederjacke und Hannas Mantel an einer weiteren Garderobe. Die im Flur hätte auch nicht einmal mehr einem Babymützchen Platz geboten. Das Zweitlager befand sich hinter einer Ziehharmonikatür, von der aus offenbar eine steile Treppe ins Obergeschoss führte. Anschließend lehnte Emil ein Backblech an die geschlossene Schiebetür, das er mit zwei Flaschen Wein stabilisierte. »Das ist wegen der Katzen«, erklärte er. »Die verkrümeln sich sonst nach oben.«
Theo sah sich unauffällig um. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Die Tapete stammte, obwohl in blassen Blautönen gehalten, augenscheinlich noch aus den 70er-Jahren. Das ist ja schon wieder Retroschick, dachte er. Allerdings sah man nur wenig von ihr. Sie war über und über bedeckt mit Schnappschüssen, vergilbten Kinderzeichnungen und selbst gebastelten Wandkalendern. Der jüngste, den Theo entdeckte, stammte aus dem Jahr 1982. Daneben klebten uralte Zeitungsausschnitte. Das Zentrum dieser Flutwelle bildete eine Pinnwand, die offenbar schon sehr bald nicht mehr ausgereicht hatte für die vielen Fundstücke und Liebesgaben.
Das Küchenmobiliar war bunt zusammengewürfelt. Eine Kücheneckbank aus Eiche und ein dazu passender Tisch kollidierten stilistisch mit einem Resopalschränkchen aus den Sechzigern. Die Küchenzeile selbst, ebenfalls Eiche rustikal, war zwar ein Einbaumodell, aber offenbar gebraucht übernommen worden und passte daher nicht so recht. Auf den Hängeschränken türmten sich Vasen aus geschliffenem Bleikristall, aus Ton und solche, die offenbar aus Saftflaschen bestanden, denen man mithilfe von Moltofill eine stachelige Außenhaut verpasst hatte, die anschließend bunt bemalt worden war. Theo schmunzelte. Er erinnerte sich, selbst als Kind ein solches Ungetüm angefertigt zu haben.
Trotz der eigentlich erdrückenden Fülle an Krimskrams fühlte er sich erstaunlich heimelig. Der grünscheckige Linoleumboden war zwar alt und mit Klebestreifen geflickt, aber blitzsauber. In der Luft hing ein zarter Duft von Zimt und Zitrone.
Line goss ihnen den Tee in dickwandige Tassen aus britischem Porzellan. Eine blau gezeichnete Landschaft auf weißem Grund schmückte das Service. »Blue Tower«, erkannte Theo. Seine Tante Grete hatte das gleiche Geschirr benutzt.
»Danke schön«, sagte Hanna.
»Sind Sie die Jüngste von Maziniaks?«, fragte Line vorsichtig.
»Nein«, sagte Hanna. »Ich heiße Hanna. Hanna Winter. Wir kennen uns noch nicht.«
»Oh«, sagte Line und versteckte ihre Verlegenheit hinter der Teetasse. Anschließend griff sie nach einer Papierserviette mit weihnachtlichem Stechpalmendekor und begann eifrig, aus ihr ein Objekt zu falten. Dabei summte sie leise vor sich hin.
»›La Paloma‹«, erkannte Theo. »Herr Lüders …«
»Emil«, unterbrach er ihn. »Nennen Sie mich doch einfach Emil.«
»Gerne. Also Emil. Wir würden Ihrer Frau gern ein Foto zeigen. Wenn es sie nicht zu sehr aufregt, meine ich. Vielleicht erkennt sie den Mann darauf. Anna zumindest scheint ihn gekannt zu haben.«
»Aus ihrer Zeit in Eichenhof«, sagte Hanna.
Emil Lüders nickte bedächtig. »Erik hat mir schon erzählt, dass Sie eine … eigene Theorie haben, was den Tod von Anna betrifft.«
Theo spürte, wie er rot wurde.
»Hören Sie, ich weiß, das klingt abenteuerlich …«
»Oh, wissen Sie, Anna hatte immer ihre Geheimnisse. Offenbar auch im Tode noch.« Er lächelte traurig.
»Meinen Sie, es geht in
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