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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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Verwalterhaus flogen. Es war das Gebäude, in dem Sven und Konstantin ihre »besonderen Schützlinge« untergebracht hatten.
    »Maja«, murmelte Anna. Und rannte los.
    Auf den ersten Blick wirkte das Haus nahezu unbeschädigt. Erst als sie näher kam, sah Anna, dass eine der Seitenwände fast vollständig eingestürzt war. Die Tür hatte sich nur leicht verzogen, klemmte aber so, dass sie all ihre Kräfte mobilisieren musste. Mühsam wand sie sich durch den schmalen Spalt. Von außen fiel Mondlicht durch das aufgebrochene Mauerwerk. Doch der Staub aus dem pulverisierten Putz hatte sich noch längst nicht gelegt. Anna hustete und hielt dann den Atem an. In der Ruine herrschte vollkommene Stille. Sie wusste, dass Sven und Konstantin die Patienten im ersten Stock untergebracht hatten, wo sie vor neugierigen Blicken geschützt waren. Nicht einmal Anna hatte in den letzten Wochen Zugang gehabt. »Jeder zusätzliche Besucher erhöht das Risiko, dass sie sich infizieren«, hatte Sven ihr bedauernd erklärt.
    »Maja«, rief Anna und musste wieder husten. Niemand antwortete ihr. Die Treppe in den ersten Stock erschien wenig vertrauenerweckend. Einige Stufen waren von herabfallenden Steinen beschädigt worden, und sie wirkte insgesamt seltsam schief. Vorsichtig ging Anna auf sie zu, rechts von ihr sperrte ein Loch im Dielenboden sein Maul auf und gab den Blick auf den Keller frei. Durch die Öffnung glomm ein vager bläulicher Schein. Offenbar war das Notaggregat für den geheimen Operationssaal angesprungen.
    Sie rüttelte probeweise am Geländer der Treppe. Das linke wackelte bedrohlich, das rechte schien stabil. Vorsichtig und sich mit beiden Händen festklammernd stieg Anna Stufe für Stufe nach oben. Dort erst offenbarte sich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Das Dach war vollständig abgedeckt und der Dachstuhl größtenteils eingestürzt. Überall lagen Trümmer herum, und spitze Holzbalken ragten in alle Richtungen. Anna war sich darüber im Klaren, dass jeder Schritt lebensgefährlich war. Seltsamerweise hatte sie trotzdem keine Angst. Vorsichtig kletterte sie über die Balken zum ersten der vier Krankenzimmer.
    Das Zimmer war, wie sich zeigen sollte, das einzige, das unbeschädigt geblieben war. Ironischerweise war es aber auch das einzige, das leer stand. Bis vor Kurzem hatte Karl, der kleine Wasserkopf, sich darin von seinem Eingriff erholt. Jetzt war er seit zwei Tagen wieder auf der Kinderstation im Hauptgebäude – und putzmunter. Das Zimmer daneben hingegen bot ein Bild der Verwüstung. Ein Teil der Decke war hinuntergestürzt, ein Dachbalken ragte quer durch den Raum. Das Krankenbett war unter Schutt begraben. Daraus ragte eine kleine, klauenhaft verkrümmte Hand.
    Maja.
    Langsam ging Anna zu dem Bett hinüber und begann mit bloßen Händen, die Trümmer beiseitezuräumen. Sie achtete nicht darauf, dass sie sich die Finger an den rauen Kanten blutig riss. Als Erstes legte sie Majas Gesicht frei. Ihre Haut war mit grauem Staub überzogen, sodass sie wie eine Gipspuppe wirkte. Der Mund stand leicht geöffnet. Anna langte mit dem Finger hinein, um die Schuttbröckchen herauszuklauben. Sie brauchte nicht nach einem Puls zu suchen. Maja war tot. Ein großer Steinbrocken hatte ihren Brustkorb vollständig zertrümmert.
    Behutsam wischte sie das Gesicht der Freundin mit dem Jackenärmel ab. Von Majas schönen Locken, auf die sie so stolz gewesen war, war nichts mehr übrig. Vermutlich hatte Sven sie abrasieren lassen, um besseren Zugriff auf Majas Hirnströme zu haben. Sie strich ihr über die so verletzlich wirkende kahle Stirn. Erst da bemerkte sie die Drähte, die überall aus dem Schutt ragten wie bunte Fadenwürmer. Anna packte einen und zog daran, um die Elektroden zu entfernen. Sie schrie, als Majas Kopf sich ihr aus den Trümmern entgegenhob. Die Elektroden waren nicht aufgeklebt. Die Drähte führten direkt in ihren Schädel.
    Entsetzt sprang sie auf, den Blick noch immer auf die tote Freundin gerichtet. Sie stolperte, sodass sie rittlings auf den Boden stürzte. Panisch krabbelte sie, den Blick noch immer auf Maja geheftet, rückwärts zur Tür. Plötzlich stieß sie an ein Hindernis. Ihr Blick fiel auf ein Paar staubbedeckte Männerschuhe. Anna spürte noch den Luftzug, den die herabsausende Holzstrebe verursachte. Dann verschluckte sie die Dunkelheit.
    Kühl betrachtete der Mann die zusammengesunkene Gestalt zu seinen Füßen. Ein wenig Blut sickerte über Annas Schläfe, fraß sich wie ein

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