Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Wirklichkeit ist, wir wissen auch von Anna, dass er in Eichenhof mit Menschen experimentiert hat, aber wir haben keinen einzigen Beweis.« Niedergeschlagen rieb er sich den Nacken. Vor ihm saß Hauptkommissarin Hadice Öztürk hinter ihrem hell furnierten Schreibtisch. Ihre langen Beine steckten wie üblich in schwarzen Lederhosen, dazu trug sie ein schwarzes, schlichtes T-Shirt. Hadice war die einzige Frau, die Theo kannte, die niemals fror. Als einzigen Schmuck trug sie ein kurzes Lederband mit einem silbernen Anhänger. Er war mit blauen Steinen besetzt, die in konzentrischen Kreisen angeordnet waren. Theo erkannte ihn wieder – Hadice hatte ihn nie abgelegt. Er stellte »Nazar« dar, das Auge, das vor dem bösen Blick schützt, hatte sie ihm einmal erklärt.
Momentan hätte Theo diesen Schutz selbst gut gebrauchen können, denn Hadices Blick war gelinde gesagt Unheil verkündend.
»Ihr habt also selbst ein bisschen recherchiert«, sagte sie scheinbar ungerührt. »Schön. Ihr habt auch einen ganzen Haufen Zeug rausgekriegt. Auch gut. Aber dass du dazu auch noch höchstpersönlich bei diesem Bergman, oder wer er denn nun ist, aufgekreuzt bist! Ich fasse es nicht!« Sie sprang auf und beugte sich, die Hände auf den Schreibtisch gestützt, drohend zu Theo vor: »Herrgott, du denkst, der Kerl ist ein Mörder, und trotzdem stattest du ihm so einfach einen Höflichkeitsbesuch ab?« Sie schnaubte. »Wer glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?«, fauchte sie und schoss weitere finstere Blicke ab, die auch Hanna trafen. Die saß neben Theo und beobachtete beklommen, aber fasziniert die Darbietung orientalischen Temperaments, die sich hier entfaltete.
»Haltet ihr euch vielleicht für Emil und die Detektive oder was?« Entnervt ließ sich Hadice wieder auf ihren Schreibtischstuhl fallen.
»Hadice, jetzt komm mal runter. Was sollten wir denn machen? Du hast uns schließlich klipp und klar gesagt, dass die Polizei nicht genug in der Hand hat, um zu ermitteln.«
Hadice schwieg. »Scheißdreck«, sagte sie, aber Theo wusste, dass das Schlimmste vorüber war. »Die Wahrheit ist, soweit ich sehe, dass wir immer noch nicht genug für eine richtige Ermittlung haben.« Sie blätterte in dem ordentlichen Bericht, den Hanna getippt hatte.
»Die ganze Geschichte funktioniert nur, wenn wir davon ausgehen, dass eure Anna sich nicht geirrt hat. Die Zeugenaussage einer 84-jährigen Frau, die nur auf Hörensagen basiert, weil sie inzwischen tot ist.«
»Ermordet«, beharrte Theo.
Hadice stöhnte.
»Und mit dem Zeug tanzt ihr hier an.«
»Nicht ganz«, ließ Hanna sich zum ersten Mal vernehmen.
»Da wäre noch was. Der Grund, warum wir gerade jetzt hier antanzen, ist nämlich, dass wir glauben, dass es mindestens noch einen weiteren Mord gegeben hat.«
Theo sah, wie ein Funke in Hadices Augen aufglomm. Erleichtert lehnte er sich zurück. Die Kommissarin hatte angebissen.
Am Morgen, als Hanna noch mit ihren vom Schlaf verfilzten Locken kämpfte, hatte ihr Handy geklingelt.
»Hier Pflegeheim Entenbach«, hatte eine schüchterne Stimme gesagt. Hanna hatte nicht gleich geschaltet. »Entenbach?«, fragte sie verwirrt.
»Ja«, sagte die Stimme unsicher. »Wir wollten Ihnen nur mitteilen, dass Frau Ilse Steiner gestern verstorben ist.«
Ilse, dachte Hanna, die bösartige Schafsfrau!
»Ja, und da Frau Steiner keine Angehörigen hat – ich meine, sie hat ja auch nie Besuch bekommen oder so, bevor Sie da waren, meine ich. Und jedenfalls lag da Ihre Visitenkarte auf ihrem Nachttisch, und da dachten wir …«
»Klar«, hatte Hanna, plötzlich hellwach, gesagt.
»Jedenfalls hat Ilse Steiner mich zwei Tage vor ihrem Tod noch einmal angerufen und mich über Bergman ausgequetscht. Und jetzt ist sie tot. Das kann doch kein Zufall sein.«
Hadices Hirn lief auf Hochtouren. »Du meinst, du hast ihr das Bild gezeigt, aber sie hat vorgegeben, sich nicht zu erinnern.«
»Und dann hat sie mich noch einmal angerufen«, nickte Hanna.
Hadice ließ einen Kugelschreiber irritierend gegen ihre unteren schneeweißen Zähne klicken. »Okay, ich warne euch, ich kann nichts versprechen, aber das schaue ich mir näher an.«
»Hadice«, sagte Theo und ergriff ihre schmale Hand, die auf dem Schreibtisch ruhte. »Jetzt sag doch mal, was du von der ganzen Sache hältst.«
»Das Ganze ist natürlich total irrwitzig.« Die junge Kommissarin machte eine Pause und warf Theo und Hanna je einen grimmigen Blick zu. »Aber das ist so irrwitzig, da muss ja was
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