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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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Nixen, die das Portal flankierten. Über ihre Gesichter liefen Rinnsale gefrorenen Wassers wie Tränen aus Eis. Mühsam stieg sie die Stufen empor. »Ich möchte gern zu dem Professor«, sagte sie energisch.
    »Er erwartet Sie bereits.«
    »Tatsächlich.« Anna zögerte kurz. Dann trat sie ins Innere des Hauses.
    Während ihre Stiefel schmutzige Pfützen auf dem Boden hinterließen, half Fitzpatrick ihr galant aus dem Mantel. »Hier entlang«, sagte er mit erlesener Höflichkeit, die Anna zuletzt vor Jahrzehnten erlebt hatte. Er öffnete eine Flügeltür, und da stand er vor ihr. Schlank und groß und sehr aufrecht. Tadellos gekleidet in sandfarbene Cordhosen und Tweedjackett.
    »Anna«, sagte er, »wie lange ist das her.« Sein Lächeln war unverändert.
    »Sven von Vries «, sagte sie, »deine Knochen sollten längst verrottet sein.«
    Er lachte. »Du hast dich nicht verändert.«
    »Ich dachte, du wärst tot«, sagte sie und fühlte sich töricht.
    Er nickte. »Genau das war ja der Plan. Komm, setzen wir uns doch.« Er deutete auf die schöne Sitzgruppe. Annas Füße, ihr Rücken, ihr ganzer Körper schmerzten. Obwohl sie sich ein Taxi vom Bahnhof gegönnt hatte, statt wie geplant den Bus zu nehmen, spürte sie jeden Knochen. Das Alter ist eine gemeine Folter, dachte sie. Der Mensch ist einfach nicht dazu gemacht, so alt zu werden. Aber der Mann vor ihr schien diesen Überlegungen zu spotten. Sie wusste, dass er 93 Jahre alt war, und doch wirkte er fit und hellwach. Widerstrebend setzte sie sich auf die äußerste Kante eines tiefen Sessels. Sven von Vries nahm ihr gegenüber auf der Couch Platz. Er lehnte sich bequem zurück und schlug die Beine übereinander.
    »So sieht man sich also wieder.« Er musterte sie von Kopf bis Fuß. »Bezaubernd wie eh und je«, sagte er, und Anna wusste, dass das keine Schmeichelei war. Sven hatte sich schon immer von anderen als körperlichen Vorzügen angezogen gefühlt. Mut. Leidenschaft. Stolz.
    »Warum bist du zurückgekommen?«, wollte sie wissen. »Du musstest doch damit rechnen, dass dich jemand erkennt. All die Jahre hast du dir offenbar sehr viel Mühe gegeben, das zu verhindern. Sogar Fotos gibt es so gut wie keine von dir, gerade mal eines habe ich im Internet gefunden. Und jetzt kreuzt du hier leibhaftig auf?«
    »Du bist auf deine alten Tage im Internet unterwegs?« Er lächelte amüsiert.
    Anna schwieg.
    »Anna, kannst du dir nicht vorstellen, dass man gegen Ende seines Lebens den Wunsch hat, noch einmal die Stätten seiner Jugend aufzusuchen?«
    »Ich kann mir schwer vorstellen, dass du auf einmal so sentimental bist.«
    Er lehnte sich zurück. »So ist es aber. Ich bin vor zehn Jahren aus der aktiven Forschung ausgestiegen. Natürlich bin ich immer noch im Vorstand meiner Firma für Gentechnik, aber das füllt mich nicht aus. Ich habe einfach Sehnsucht gehabt, nach dem Dialekt hier, dem Humor, den Franzbrötchen, der Luft – was weiß ich.« Er blickte aus dem Fenster. »Den Blick über die Elbe, den wollte ich gern noch einmal sehen. Back to the roots. Du bist ja schließlich auch nicht in Afrika geblieben.«
    Anna wunderte sich nicht, dass er sich über sie informiert hatte. »Ich habe hier aber auch niemanden umgebracht.«
    »Mein Gott, Anna, das ist doch hundert Jahre her. Das interessiert bald keinen Menschen mehr.«
    »Doch«, sagte Anna und zog ihre billige Strickjacke fester um den schmächtigen Körper, »mich zum Beispiel.«
    Er lächelte. Mit Grausen nahm Anna wahr, dass es noch dasselbe Lächeln war wie vor fast siebzig Jahren.
    »Wie geht es übrigens Line?«, fragte er.
    »Nicht so gut, und ich wette, das weißt du auch«, sagte Anna böse.
    »Siehst du – die allermeisten, die mich damals kannten, sind tot. Oder dement. Das Risiko war also nicht allzu groß.«
    Annas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
    »Ich bin weder das eine noch das andere, wie du sehen kannst.«
    Er nickte und griff nach einem Teller. »Käsekirsch«, sagte er und nahm sich ein Stück Kuchen. »Bedien dich.«
    Anna hatte eine Mission, also blieb sie widerstrebend sitzen. Sven spießte ein Stück Kuchen auf die Gabel und fragte: »Was willst du wissen?«
    »Wie hast du das gemacht? Wie ist aus Sven von Vries Jonathan Bergman geworden?«
    Genüsslich zog er die Gabel aus dem Mund, die eben noch ein ansehnliches Stück Kuchen getragen hatte.
    Sven beugte sich vor. »Alles, was ich dir erzähle, bleibt doch unter uns?«
    Anna lächelte höhnisch.
    »Du weißt, nichts von

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