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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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dem ließe sich jemals beweisen.« Zufrieden lehnte er sich zurück und begann. Er liebte es, zu erzählen. Und zum ersten Mal seit siebzig Jahren ergab sich die Gelegenheit für diese besondere Geschichte.

Kapitel 17
     
    Nachtschatten
     
    Mittwoch, 10. Dezember 2008
    Die letzten Sonnenstrahlen brachen sich auf den Wellen der Elbe. Ihre Reflexe flirrten über das honigfarbene Parkett. Anna hörte ihm zu. Er war auch früher ein begnadeter Geschichtenerzähler gewesen. Sie fühlte sich gleichermaßen abgestoßen wie widerwillig fasziniert. »Was ist eigentlich aus dem echten Jonathan Bergman geworden?«
    »Wolf hat ihn auf mein Signal hin liquidiert und anschließend die Bücher gefälscht. Als KZ-Arzt war das für ihn kein Problem. Offiziell ist es Bergman gelungen, zu entkommen.«
    »Liquidiert.« Anna konnte nicht fassen, mit welcher Selbstverständlichkeit von Vries den Mord kommentierte. Sie fragte sich, wer noch hatte dran glauben müssen, um seine Spuren zu verwischen. Sein Freund Wolf, der ihm den Identitätswechsel ermöglicht hatte, wäre sicher eine Gefahr gewesen. Und nun saß sie hier und drohte, das ganze Geheimnis auffliegen zu lassen. Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass ihre Mission riskant war. Sie hatte aber nicht bedacht, dass er nicht nur ein skrupelloser Wissenschaftler, sondern auch ein eiskalter Mörder sein könnte. Ihr wurde bewusst, dass sie mit ihrem Leben spielte. Wäre von Vries auch jetzt noch bereit, für sein Geheimnis zu töten? Andererseits, wenn sie sich schon in die Höhle des Löwen begeben hatte, wollte sie die Gelegenheit auch nutzen. Sie musste den passenden Moment abwarten.
    »Warum hast du dir ausgerechnet die Identität eines KZ-Häftlings ausgesucht? Hätten deine Freunde von der SS dich aufgestöbert, wäre das vielleicht dein Tod gewesen.«
    Er winkte ab. »In dem Fall wäre ich wieder in meine alte Identität geschlüpft.«
    »Und die Tätowierung?«
    Von Vries warf einen Blick auf die blassblaue Zahlenreihe, die seit Jahrzehnten sein Begleiter war. »Oh, die habe ich erst später machen lassen. Erst nach dem Ende des Krieges. Meinem Freund Thorbjörn habe ich nur erzählt, dass ich im Widerstand sei. Das hat ihm gereicht, um mich zu verstecken.«
    »Es war natürlich schreckliches Pech, dass deine Nazifreunde den Krieg verloren haben.« Anna warf ihm einen sarkastischen Blick zu, der aber an ihm abprallte.
    »Nun, das war zu erwarten. Hitler war zweifellos komplett übergeschnappt, sich mit der ganzen Welt anzulegen. Nein Anna, ich bin kein Nazi, und ich war auch nie einer.«
    »Was dann?«
    »Politik ist mir vollkommen egal, solange sie meine Arbeit nicht beeinträchtigt. Ich bin Wissenschaftler. Und als Wissenschaftler bin ich immer dort hingegangen, wo man mir den größten Spielraum für meine Forschungen geboten hat. Erst Nazideutschland, dann die USA.«
    »Spielraum – was für ein schöner Euphemismus. Wobei der Spielraum außerhalb des Dritten Reiches vermutlich nicht mehr ganz so groß war.«
    »Oh, während des Kalten Krieges war Hirnforschung groß in Mode. Die Militärs haben sich so einiges erhofft. Da gab es sogar ganz ernsthafte Experimente mit Parapsychologie. Ich kann dir versichern, die Forschungsbedingungen waren ausgezeichnet.«
    Anna schwieg entsetzt. Hatte dieses Scheusal seine Experimente etwa auch nach dem Krieg noch weiterführen können?
    Sie dachte an einen Artikel, den sie vor einiger Zeit gelesen hatte. Da ging es um Menschen, die überwiegend hochintelligent waren. Die extrem manipulativ waren und denen jegliche Fähigkeit zu Empathie und Mitgefühl fehlte. Sie wirkten auf ihre Umwelt sehr charmant und verstanden es, ihrem Gegenüber immer genau den Eindruck zu vermitteln, der die gewünschte Reaktion hervorrufen würde. Diese Menschen waren Meister der Masken. Und völlig skrupellos. »Dir ist klar, dass du ein Psychopath bist.«
    »Oh, zweifellos. Und bedenke doch, welch ein enormer Vorteil das ist!« Er klaubte bedächtig die letzten Krümel seines Kuchens mit der Rückseite der Gabel auf. »Wahrhaft frei im Geiste ist doch nur, wer frei von allen moralischen Zwängen ist.« Er lächelte zufrieden. »Aber um noch einmal auf Hitler zurückzukommen: Der war zwar ein Irrer, aber in einem Punkt hatte er recht.« Er wischte sich den Mund mit einer weißen Serviette ab und legte sie sorgsam gefaltet neben den Teller. »In einer gesunden Gesellschaft müssen die Starken die Schwachen beherrschen. Diese ganze Idee von der überlegenen

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