Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
drin, und ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Heilige Scheiße. Ich komme.« Sie klappte das Handy zusammen und sprintete zu ihrem Motorrad.
Um fünf Minuten vor halb zwölf hielt Fatih die Spannung nicht mehr länger aus. Er öffnete die Tür und schlich lautlos die Treppe hinunter. Im ersten Stock, wo das Schlafzimmer des alten Mannes lag, lauschte er noch einmal. Er hörte kein Geräusch und sah auch nirgendwo einen verdächtigen Lichtschimmer unter der Türritze hindurchrieseln. Langsam pirschte er sich die breite Freitreppe hinunter, die zum Glück nicht knarrte. Er durchquerte die Halle und ging hinüber zu Bergmans Büro. Vorsichtig öffnete er die Tür, schlüpfte durch und drückte sie anschließend sorgfältig wieder ins Schloss. In der Luft hing ein gepflegter Duft nach teurer Möbelpolitur und Leder. Dank der vielen großen – und blitzblank geputzten – Fenster war es hier vergleichsweise hell. Fatih konnte deutlich die Umrisse des Schreibtischs vor dem Fenster erkennen. Er ging hinüber und versuchte, die Schubladen aufzuziehen. Sie waren verschlossen. Er schaltete die Stirnlampe ein, die er auf dem Kopf trug. Er kam sich wie ein professioneller Einbrecher vor. Rasch durchsuchte er die chinesische Porzellanschüssel auf dem Tisch nach einem Schlüssel. Nichts. Er zog einen Draht aus der Tasche, den er vorsorglich mitgebracht hatte, und bog ihn zum provisorischen Dietrich. Als Kind hatten er und seine Kumpel sich als zukünftige Einbrecherkönige gesehen und fleißig an verschlossenen Speisekammern und Schränken geübt, in denen die Mütter Süßigkeiten gelagert hatten. Das kam ihm nun zugute. Kurz darauf ertönte ein leises Knacken, und die erste Schublade ließ sich öffnen. Fatih nahm einige Mappen heraus und sichtete den Inhalt. Offenbar nichts als wissenschaftliches Zeug. In einem teuer wirkenden Umschlag stieß er auf die Ehrenurkunde, die Bergman vor Kurzem verliehen worden war. Fatih schnitt eine Grimasse. Wenn es nach ihm ginge, wäre es mit den Ehrenbekundungen für den genialen Professor bald vorbei. Er machte mit den anderen Schubladen weiter, stieß aber lediglich auf allerlei Unwichtiges. Ein paar Schleimerbriefe mit der Bitte um Empfehlungsschreiben. Eine Interviewanfrage. Eine Einladung zu einer Gala. Aber nichts Persönliches. Und schon gar nichts, was Bergman als Betrüger entlarvt hätte. Fatih ignorierte das wachsende Gefühl der Verzweiflung. Verbissen machte er sich daran, das Bücherregal zu sichten. Vielleicht war eines der Bücher bloß eine Attrappe? Oder aber irgendwo steckte ein wichtiges Dokument oder Foto zwischen den Seiten? Allerdings standen hier Hunderte von Büchern herum. Seufzend begann er mit dem ersten Brett. Er zog ein Buch heraus, blätterte es durch, schüttelte es aus und stellte es wieder zurück. Er war erst bei der zweiten Reihe, als er plötzlich ein Geräusch hörte. Fatih erstarrte. Oben war zweifellos eine Tür ins Schloss gefallen. Dann hörte er jemanden die Treppe herunterkommen. Verdammt, der Alte! Blitzschnell stopfte er das Buch, das er in den Händen hielt, zurück in den Schrank. Dann blickte er sich im Zimmer nach einem Versteck um. Die karge Möblierung bot nur wenige Möglichkeiten. Er eilte zur Fensterfront hinüber und verbarg sich hinter einem der schweren Samtvorhänge. Schmerzhaft schlug ihm das Herz gegen die Rippen. Vielleicht wollte der Alte sich nur ein Glas Milch aus der Küche holen? Doch die Schritte kamen näher, und er hörte, wie die Klinke heruntergedrückt wurde. In letzter Sekunde fiel ihm die Stirnlampe ein. Hastig schaltete er sie aus und stand dann da wie Lots Weib persönlich. Die Person, die ins Zimmer trat, blieb einen Moment stehen, als wittere sie den Eindringling. Fatih sträubten sich die Nackenhaare. Die Schritte kamen näher, ein leises Knipsen ertönte, und ein schwacher Lichtschein breitete sich aus. Vermutlich hatte der nächtliche Besucher die Schreibtischlampe angeschaltet. Er hörte, wie sich die Schritte zur gegenüberliegenden Wand bewegten. Vier Piepser ertönten und dann ein sirrendes Geräusch. Aus seiner dunklen Ecke heraus riskierte Fatih einen Blick. Der alte Mann zog etwas aus einer Vertiefung in der Wand.
Natürlich, dachte Fatih, Leute wie dieser Bergman hatten immer einen Safe. Vermutlich war er hinter dem Ölgemälde mit dem aufgewühlten Meer verborgen. Lautlos zog er sich wieder zurück, als der Alte sich umwandte. Fatih hörte, wie er wieder zum Schreibtisch ging und einen
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