Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
stand Fitzpatrick. In der Hand hielt er eine Pistole.
Als der Radau losging, zuckten Theo und Selçuk zusammen. Synchron öffneten sie die Türen des Wagens, sprangen heraus und liefen zum Tor der Villa. Es ragte hoch vor ihnen auf und war oben mit bedrohlichen Spitzen versehen.
»Scheiße, Mann, wir müssen da irgendwie rein.« Selçuks Stimme war voller Panik.
»Keine Panik«, sagte Theo, nicht weniger außer sich.
»Räuberleiter«, kommandierte Selçuk.
Theo verschränkte die Hände ineinander und wuchtete den Jungen so die zackenbewehrte Mauer hinauf. Beim dritten Anlauf klappte es. Auf allen vieren hockte Selçuk in zweieinhalb Metern Höhe. Er blickte zum Haus hinüber. Im ersten Stock wurde ein Fenster aufgeschoben. »Da ist Fatih!«, brüllte er über die Schulter zu Theo. Dann sprang er in den Garten hinunter.
Fatih hatte erkannt, dass ihm der direkte Fluchtweg nach draußen abgeschnitten war. So war er mit seiner Beute in den ersten Stock hinaufgehetzt. Er stürmte ins Badezimmer, wo er sich die besten Chancen auf eine abschließbare Tür ausrechnete. Er knallte die Tür hinter sich zu.
»Gott ist groß«, murmelte er, als er den massiven Riegel sah. Er hieb mit der flachen Hand dagegen und brachte ihn so in Position. Keine Sekunde zu früh. Von außen rüttelte jemand an der Klinke.
»Aufmachen«, brüllte Fitzpatrick. Frustriert donnerte er mit der Faust gegen die Tür. »Aufmachen, du kleiner Scheißkerl, oder ich knall dich ab.«
Fatih konnte sich nicht vorstellen, dass er seine Drohung in die Tat umsetzen würde. Ein türkischer Junge mit einem Loch im Kopf ließ sich eindeutig weniger gut vertuschen als eine erfrorene alte Frau. Trotzdem: Er musste hier schleunigst raus. Mit einem Ruck schob er das schmale Fenster nach oben und blickte in den Vorgarten. Die Räume der Villa waren hoch, sodass er sich fast vier Meter über den Blumenrabatten befand. Bei einem Sprung würde er sich wahrscheinlich die Beine brechen. Ganz abgesehen davon, dass »das Ding« zu Bruch gehen würde. Bei dem Gedanken überkam ihn Übelkeit. Von draußen klangen jetzt donnernde Schläge an die Tür. Offenbar hatte Fitzpatrick etwas gefunden, das er als Rammbock benutzen konnte. Die Tür vibrierte in ihren Angeln. Fatih dankte Gott für die massive Bauweise vergangener Jahrhunderte. Dann wickelte er den Behälter mit dem Kopf in Handtücher. Er griff sich einen Wäschesack, der in einem hölzernen Gestell hing, und ließ das Handtuchknäuel hineinfallen. Hektisch blickte er sich um. Er riss einen dunkelblauen Bademantelgürtel aus seinen Schlaufen und verknotete ihn an der Konstruktion. Insgesamt konnte er so schon einmal zwei Meter überbrücken, aber das reichte nicht. Er zog seinen eigenen Gürtel aus und verlängerte das provisorische Seil noch mal um neunzig Zentimeter. Plötzlich wurde es still.
»Das hat doch keinen Zweck.« Offenbar stand Bergman inzwischen ebenfalls vor der Tür. »Wir haben doch Ihre Telefonnummer, da schnappt die Polizei Sie in null Komma nichts.«
Und dich auch, du Schwein, dachte Fatih.
»Kommen Sie raus, vielleicht können wir die Sache gütlich regeln.«
Ganz bestimmt, dachte Fatih zynisch. »Und woher weiß ich, dass Sie mich nicht reinlegen?«, heuchelte er Verhandlungsbereitschaft. Gleichzeitig schlich er sich zum Fenster.
»Junge, ich will Ihnen doch nicht den Lebensweg verbauen. Denken Sie an Ihr Studium.«
Fatih warf einen Blick aus dem Fenster. Unten stand Selçuk und ruderte mit den Armen. Vor Erleichterung wurde Fatih ganz schwach in den Knien. Er wuchtete die Konstruktion über das Fensterbrett und ließ sie langsam hinunter. Zwischen Selçuks ausgestreckten Armen und dem Wäschesack klaffte noch ein Meter.
»Fang«, zischte Fatih, »aber pass auf damit.« Selçuk nickte eifrig. Fatih ließ los, und sein Freund schnappte nach dem Wäschesack. Dabei knallte ihm der hölzerne Wäscheständer, der am Ende des Seils hing, auf den Schädel. Selçuk fluchte und taumelte. Jetzt musste es schnell gehen. Fatih schwang sich aufs Fensterbrett. In dem Moment hörte er, wie es innen Sturm läutete.
»Wer zum Teufel …«, hörte er Bergman sagen. Fatih ließ sich aus dem Fenster gleiten, bis er mit ausgestreckten Armen vor der Hauswand baumelte. Die zwei Meter zwischen seinen Fußspitzen und dem Boden schienen ihm viel höher. Er schloss die Augen.
»Gott ist groß«, flüsterte er. Dann ließ er sich fallen.
Als Selçuk hinter der Mauer verschwunden war, packte Theo die Wut.
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