Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Forschungsgebiet, aber nichtsdestotrotz extrem makaber und unappetitlich, fand Theo, der das Buch zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Lilly fand das natürlich nicht. Er hatte sie mit der Nase in dem Buch erwischt, als er ihr das Abendessen servieren wollte. Nachdem er ihr den Thriller abgeknöpft hatte, hatte sie ihr Essen – Pasta mit Pesto – mit Todesverachtung heruntergeschlungen.
»Manno«, stöhnte sie jetzt. »Hättest du vielleicht Lust, so ein Zeug zu lesen?« Anklagend hielt sie das Buch in die Höhe. »Das ist was für Babys.«
Theo musste ihr insgeheim zustimmen. Die pinkfarbene Bonbonwelt der Prinzessin fand er geradezu gruselig, seit sie in Form von T-Shirts, Schulranzen, Fahrrädern, Plüscheinhörnern, Haarspangen, Lipgloss und Spieldosen in die Realität hinüberschwappte, eine erstickende Kitschflut in Rosé.
Beleidigt knallte sie das Buch auf den Boden.
»Ist sowieso längst Zeit fürs Bett. Abmarsch.«
Lilly zog eine Flunsch. Ihre Unterlippe reichte fast bis zum Kinn. »Och nöööö.«
Eine Dreiviertelstunde später war der Kampf vorbei, und Theo konnte immerhin einen Teilsieg für sich verbuchen. Lilly durfte noch eine halbe Stunde in einem Erwachsenenkrimi lesen, aber in einem weniger makabren.
Er hatte sich gerade auf der Couch ausgestreckt und zur Fernbedienung gegriffen, als das Telefon klingelte. Hoffentlich kein Notfall, der schnelles Ausrücken verlangte.
»Ist da zufällig Theo?«, fragte der Anrufer vorsichtig, nachdem Theo sich gemeldet hatte.
»Zufällig ja.«
»Hier ist Selçuk. Der Kumpel von Fatih. Der Drummer.« Die junge Stimme klang angespannt.
Theo witterte sofort Unheil. »Wo steckt der Bursche?«
Selçuk überlegte. Er musste aufpassen, dass die beiden Bullen nicht misstrauisch wurden. Die schauten mit gespitzten Ohren zu ihm hinüber.
»Bei diesem Bergman.«
»Was?« Theo sprang von der Couch. »Was sagst du da?«
»Wir waren da zum Fensterputzen …«
»Fensterputzen«, echote Theo. »Und Fatih ist noch immer da? Wird er da festgehalten oder was? Junge, spuck’s aus.«
»Nee, das nicht. Ich meine, er ist schon noch da. Glaube ich zumindest, aber …« Er verdrehte die Augen. »Sie kennen doch Fatih. Der wollte unbedingt rausfinden, was Anna da gesucht hat …« Er unterbrach sich, als er das aufblitzende Interesse in den Dienstaugen erblickte. »Ich sitz hier jedenfalls bei den Bull…, der Polizei in Blankenese fest.«
»Polizei?«
»Nichts weiter, die wollen nur meine Personalien überprüfen, aber der Computer spinnt. Jedenfalls sollte ich Fatih eigentlich abholen, wenn er … wenn er fertig ist eben. Und ich fänd’s ganz cool, wenn Sie das übernehmen könnten. Nur für alle Fälle, meine ich.«
»Okay. Ich fahre los, so schnell es geht.«
Aber ganz so schnell ging es dann doch nicht. Erst klingelte er das verschlafene Fräulein Huber aus dem Bett, die sich zwar tiefbayrisch fluchend, aber hurtig und ohne groß Fragen zu stellen, die Kleider überstreifte. Als sie schließlich vor ihm stand, hatte sie noch immer ihre mondäne spitzenbesetzte Schlafmaske auf der Stirn. Theo musste trotz seiner Sorge lachen.
Er wählte diesmal die schnellste Strecke über die Köhlbrandbrücke und durch den Elbtunnel. Auf der Fahrt über die luftigen Höhen schenkte er dem grandiosen nächtlichen Panorama keinen Blick. Was hatte sich Fatih nur dabei gedacht? Hielt der Junge sich für Miss Marple und James Bond in einer Person? Grimmig drückte er das Gaspedal noch einen Tick weiter nach unten. Sollte er die Polizei informieren? Aber dann würde der Bursche richtig Ärger bekommen. Andererseits war Ärger mit der Polizei einem vorzeitigen Ableben durchaus vorzuziehen. Er überlegte. Wenn alles glattlief, müsste er in spätestens fünfzehn Minuten vor Bergmans Haus sein.
Es lief nicht glatt. Kurz vor der Einfahrt zur Autobahn, die durch den Elbtunnel führte, sprang sein altes Radio wie immer an, um ihm die Verkehrsnachrichten durchzusagen. »Unfall auf der A7 zwischen Waltershof und Othmarschen«, sagte die Stimme des Sprechers. »Ein Viehtransporter ist verunglückt und hat sich quergestellt. Kühe befinden sich auf der Fahrbahn. Vollsperrung des Elbtunnels in Richtung Norden.«
»Verdammt.« Theo hieb aufs Lenkrad und legte mit quietschenden Reifen eine regelwidrige Vollwendung hin. Erneut kletterte der alte Citroën die Brücke hinauf. Das würde ihn mindestens zwanzig Minuten kosten. Wenigstens waren die Straßen frei. Auf den Elbbrücken
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