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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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offenbar schweren Gegenstand abstellte. Fatih schoss das Adrenalin ins Blut wie noch nie zuvor in seinem Leben. Die Furcht, entdeckt zu werden, mischte sich mit der Hoffnung, dass Bergman etwas Wichtiges in seinem Safe verborgen haben könnte. Er riskierte einen weiteren Blick. Zum Glück saß Bergman nun mit dem Rücken zu ihm an seinem Schreibtisch. Er fingerte an einem großen schwarzen Kasten herum. Behutsam hob er den Deckel ab.
    Fatihs Gehirn brauchte nur Bruchteile von Sekunden, um zu erkennen, was in dem gläsernen Gefäß schwamm. Von einem schwarzen Holzsockel erhob sich ein vielleicht vierzig Zentimeter hoher Glaszylinder, der mit einer leicht trüben Flüssigkeit gefüllt war. Das, was darin schwamm, erinnerte Fatih an die gruseligen Exponate, die er auf einer Schulexkursion in den Kellern der Berliner Charité hatte anschauen müssen. Damals hatten sie ein Panoptikum missgebildeter Kinder und Embryonen besichtigt. Der Anblick hier war nicht weniger grässlich: In dem Behälter schwebte ein menschlicher Kopf. Er war vollkommen kahl, der Mund stand leicht offen, und auch die Augen waren leicht geöffnet, sodass ein Teil der milchigen Augäpfel sichtbar wurde. Aus dem Kopf ragten Drähte. Die Flüssigkeit war nach dem Transport noch nicht völlig zum Stillstand gekommen, sodass der Kopf darin schwappte und ihm zuzunicken schien. Das Haupt der Medusa, dachte Fatih.
    Bergman betrachtete den Inhalt des Behälters voller Wohlwollen. Maja war nunmehr seit über 65 Jahren seine treueste Begleiterin gewesen. Seit seine Frau ihn verlassen hatte, hatte er es sich angewöhnt, sie aus dem Safe zu holen, wenn er nachts nicht schlafen konnte.
    »Entweder ich oder dieses Ding«, hatte Rahel nach vierundzwanzig Jahren und siebzehn Tagen Ehe gesagt, als sie Bergmans kleinem Geheimnis auf die Spur gekommen war. Bergman hatte sich für Maja entschieden. Die Ehe mit Rahel, der Tochter eines einflussreichen und sehr begüterten New Yorker Rechtsanwalts, hatte seiner Karriere zu Beginn den erhofften Schub verliehen. Bergman war schnell in die besten Kreise der Ostküste aufgenommen worden. Doch inzwischen brauchte er den Einfluss der Familie Rosenstein schon lange nicht mehr. Rahel war verzichtbar geworden. Maja hingegen … Mitunter ertappte sich Bergman dabei, wie er mit Maja sprach. Er lächelte dem Kopf des toten Mädchens zu. Die Arbeit mit ihr war der Beginn einer sagenhaften Forscherlaufbahn gewesen. Sie war sein Maskottchen. So ähnlich wie der erste Kreuzer, den Dagobert Duck verdient hatte. Die Disneyfigur verwahrte ihren kostbarsten Besitz ebenfalls unter einer Glasglocke, hatte Bergman einmal erheitert festgestellt, als er müßig in den Comics seines Sohnes Alexander blätterte.
    Innerhalb weniger Sekunden begriff Fatih, dass das Ding echt war. Vor Schreck japste er laut nach Luft und machte unwillkürlich einen Satz zurück. Er prallte gegen die kalte Scheibe, die er erst ein paar Stunden zuvor gründlich geputzt hatte. Im selben Moment fing die Alarmanlage an zu schrillen, und alle Lichter im Haus gingen an. Gebannt von dem Anblick, der sich ihm bot, starrte Fatih auf das schaurige Objekt auf dem Schreibtisch.
    Er bemerkte kaum, dass der alte Mann sich von seinem Stuhl erhoben hatte und auf ihn zukam. Mit einem Ruck riss er den Vorhang beiseite. »Wen haben wir denn hier?«, fragte er. »Sieh mal einer an, unser ambitionierter Fensterputzer.«
    Die Stimme löste Fatih aus seiner Erstarrung. Er wollte sich an dem Alten vorbeidrücken, doch der packte seinen Arm mit überraschender Kraft. Es gelang dem jungen Türken nur mit Mühe, sich loszureißen. Stolpernd stürzte er auf den Schreibtisch zu. Er war überzeugt, dass das garstige Ding dort den Beweis für Bergmans Machenschaften liefern konnte. Hastig griff er nach dem Zylinder, doch Bergman war fast genauso schnell. Fatihs Interesse für das ungewöhnliche Artefakt machte ihm schlagartig den Ernst der Lage klar: Das war ganz offensichtlich kein gewöhnlicher Einbrecher. Mit aller Kraft packte er seinen Widersacher an seinen langen Haaren und riss ihn zurück. Fatih jaulte auf und griff nach seinem Zopf, um den schmerzhaften Zug an der Kopfhaut zu verringern. Bergman war zäh, doch Fatih war Jahrzehnte jünger und zudem in heller Panik. Es gelang ihm, sich aus Bergmans Klauen zu befreien und den Kopf zu schnappen. Dann sprintete er zur Tür und preschte in vollem Lauf in die Eingangshalle – wo er schlitternd und die Balance suchend zum Stehen kam. In der Tür

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