Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
die Unsterblichkeit der Seele, verbindet sich in der modernen, säkularisierten Gesellschaft die Verdrängung des Todes mit seiner Verbannung aus dem Alltagsleben und der Öffentlichkeit. Die für die Moderne typische Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre hat zu einer Privatisierung und Individualisierung des Todes geführt.
Wo der Realist Industrialisierung und Bevölkerungsentwicklung dafür verantwortlicht macht, dass alte Sozialgefüge zerstört und die Menschen gleichsam zur Individualität verdammt wurden, sieht der Idealist das Streben nach Freiheit und Autonomie als Motor der Individualisierung. Steigende Scheidungszahlen und sinkende Geburtenziffern weisen darauf hin, dass die Individualisierung ihre Kehrseite hat. Jeder Zweite über 85-Jährige in Deutschland lebt allein. Immer mehr Menschen leben und sterben als Singles.
Ökonomisierung, Institutionalisierung und Medikalisierung des Sterbens sind die zeitgenössischen Formen des Umgangs mit dem Lebensende und die Antworten der modernen Gesellschaft auf den Schrecken des Todes. Indem versucht wird, Sterben und Tod zu modernisieren, werden Sterben und Tod zugleich radikal individualisiert
Lokale Traditionen im Umgang mit Sterben und Tod sind verkümmert, der Tod wird zu einer Aufgabe, die das Individuum in Zusammenarbeit mit seinen Experten bewältigen muss. Die Differenz zwischen dem alltäglichen Tod, der unsichtbar bleibt, und dem jederzeit sichtbaren Fernsehquantum ist merkwürdig. Eine Erklärung dafür könnte die von Birgit Richard in ihrer Dissertation Todesbilder formulierte These bieten, nach der »die westliche Gesellschaft den Tod nicht verdrängt«, in dem Sinne, dass sie ihn verschwinden lässt, sondern »im Zeitalter optischer Speichermedien neue Symbolisierungsorte« für ihn geschaffen hat: den Film, die Printmedien, das Fernsehen. Damit kehrt der aus dem Alltag verdrängte Tod durch die elektronische Hintertür wieder ein in den (Fernseh-)Alltag. Er kehrt zurück ohne die Brutalität des erlebten Todes, ohne die Unerträglichkeit des individuellen Schmerzes. Er kehrt zurück als der Tod der anderen.
Denn der Bildschirm erzeugt eine Entwertung: »Die herrschende Tendenz in unseren Gesellschaften ist es, als Ausdruck unseres technologischen Ehrgeizes und entsprechend unserer Feier des Augenblicks, den Tod aus dem Leben auszulöschen oder ihn durch seine wiederholte Darstellung in den Medien bedeutungslos zu machen, wobei er dort immer der Tod des anderen ist, sodass unser eigener uns mit der Überraschung des Unerwarteten trifft.« Birgit Richard spricht mit Blick auf heutige Todesvorstellungen von einer »Desozialisierung« des Todes. Diese sei »der Hauptgrund für sein weitgehendes Verschwinden aus dem öffentlichen Raum«. Ins Fernsehen ist eingesickert, was aus dem Alltag ausgesickert ist, und es sickert, jeden Abend neu, wieder zurück in den Alltag. Darin liegt zunächst ein Gewinn. Das Fernsehen bietet und sichert die Bilder, die aus dem Alltag des einzelnen Menschen fast verschwunden sind. Im Fernsehen hat der Tod seinen neuen Platz gefunden.
Der Zuschauer kennt den Tod weithin nur noch als Fernsehtod. Doch zieht man eine falsche Trennungslinie, wenn man glaubt, dass auf der einen Seite die Realität wäre, frei von Todesbildern, und auf der anderen das Medium, voll davon: Das Fernsehen ist nicht jenseits der Realität eine Art elektronisches Gegenüber – es ist selbst Realität. Was es im Fernsehen gibt, das gibt es wirklich. Das Fernsehen – also die Autoren, die Reporter, die Kameraleute, die Redakteure, die Produzenten – bestimmt über die Bilder. Das macht die Rolle des Fernsehens in der Gesellschaft so bedeutend. Aus der Rolle des Herrschers über die Bilder erwächst eine große Verantwortung. Das Fernsehen, ob es dies will oder nicht, nimmt an einer öffentlichen Aufgabe teil.
Der Tod zeigt sich im Fernsehen nicht in erster Linie als integraler Bestandteil der Biografie eines jeden Menschen, sondern als etwas, das zum Leben hinzutritt, indem es ihm ein Ende setzt. Nichts ist zu sehen von einer Einheit von Leben und Tod, und was wir umgangssprachlich einen natürlichen Tod nennen, fehlt im Fernsehen fast vollständig. Es ist ein und derselbe Mensch, der den Tod verdrängt an den Rand seiner Tage und seines Lebens. Der die Friedhöfe hasst, dem der Geruch der Lilien in der Aussegnungshalle zuwider ist.
Moderne Gesellschaft – moderne Ängste
In unserer Sterbe- und Trauerkultur spiegeln sich Trends, die
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